12x12

12x12 ist wieder ein neues Projekt, dass ich mir für 2018 vorgenommen habe. Angefangen habe ich auf Wunderwörter schliesslich mit Kurzgeschichten und so heisst es hier sozusagen "back to the roots". Ich werde hier jeden Monat eine Kurzgeschichte veröffentlichen, sodass wir bis Ende Jahr 12 Geschichten in 12 Monaten haben. Ich freue mich darauf und bin gespannt, was dabei herauskommt!

Uploadzeiten: Sonntags, ca 22.00 Uhr

 

Geschichten vom Unterwegs sein

 

Vorfreude-Teil I

 

Während Samantha in ihren Terminkalender blickte, breitete sich ein wohliges Kribbeln in ihrem Magen aus. Nur noch vier Tage bis zu ihrer Reise. Vielleicht war es genau dieses Gefühl, dass sie am Reisen am liebsten hatte, die nervöse Vorfreude auf einen Trip in Ungewisse. Den im Prinzip war jede Reise genau das, ein Trip ins Ungewisse. Man konnte noch so viel organisieren, ein bisschen Ungewissheit blieb und das machte es doch auch spannend. Ein Kollege riss sie aus ihren Tagträumen und klappte ihre Agenda zu, um ihren Arbeitstag erfolgreich zu Ende zu bringen.
Drei Tage später galt es ernst. Der Koffer lag auf ihrem Fussboden, rund herum überall Kleider, Ladekabel, Kosmetika und Notizbücher. Im Hintergrund lief ein Reisevideo einer ihrer Lieblingskünstlerinnen und versetzte sie in die passende Stimmung. Brauchte sie den Bikini, oder braucht sie ihn nicht? Wie viel Sonnencreme würde sie benötigen? Wo war noch einmal ihr Pass? Ein leichtes Gefühl von Stress bereitete sich in ihr aus, doch sie holte tief Luft und verdrängte das Unbehagen sofort wieder. Das war ihr lang verdienter Urlaub und sie freute sich schon so lange darauf, es gab überhaupt keinen Grund ihn sich irgendwie verderben zu lassen. Eine Stunde später war der Koffer gepackt, nur ein paar ganze wenige Dinge würde sie morgen noch hinzufügen müssen. Allerdings gab es morgen noch einiges zu erledigen, da sie erst am Abend abfuhr, blieb ihr morgens noch Zeit, um ihre Arbeit fertig zu machen, die Wohnung zu putzen und ihre beste Freundin zu besuchen. Am frühen Nachmittag war sie wieder zuhause, alles war sauber und erledigt. Bis sie zum Bahnhof musste, blieben ihr noch zwei gute Stunden. Und weil schon wieder ein bisschen Stress in ihr ausbreitete, immerhin war es ihre erste Reise ganz allein, legte sie sich einen Film ein, machte sich noch etwas leckeres zu essen, um dann völlig entspannt loszugehen. Es lief danach auch alles wie am Schnürchen. Der Bus brachte sie pünktlich zur Bahn und auch diese fuhr zeitig ab. Sie holte sich im Bistro einen Kaffee und setzte sich damit ans Fenster, um die vorüberziehende Landschaft zu beobachten.
Der Hafen lag fast vollständig im Dunkeln, als der Zug endlich auf dem fast vollkommen menschenleeren Bahnhof ankam. Zusammen mit einigen anderen schwer beladenen Reisenden spazierte sie durch die enge, schmutzige Passage und trat schliesslich hinaus auf die offene Fläche. Eine Meerbrise wehte ihr um die Nase, gepaart mit dem Duft nach Schweröl und Abfall, kein allzu toller Geruch, doch im Augenblick war es für sie das Parfüm der Fremde. Zufrieden liess sie ihren schweren Rucksack zu Boden gleiten und holte ihr Sandwich heraus. Auf einem schweren Betonblock sitzend beobachtete sie das bunte Treiben im Hafen und lächelte leise in sich hinein. Die Phase der Vorfreude war vorüber, jetzt galt es endlich ernst.

 

 

Rückkehr – Teil II

 

Ich weiss, rein strategisch macht es keinen Sinn, das Heimkommen vor dem tatsächlichen Unterwegssein zu thematisieren, aber da ich nächstes Wochenende einen Städte-Kurztrip nach Marseilles machen darf, macht es für mich einfach mehr Sinn, dann über das Unterwegs sein zu schreiben…

 

Katarina war müde von der Reise, was sie auf eine seltsame Art sentimental werden liess, aber gleichzeitig stahl sich ein Lächeln auf ihr Gesicht, als ihr Heimatbahnhof in Sicht kam. Sie wusste schon gar nicht mehr, wie viele Stunden sie mittlerweile unterwegs war, genug waren es auf jeden Fall. Zug, Bus, Schiff, sie hatte die ganze Palette hinter sich, in dem anstrengenden Versuch, das Fliegen zu vermeiden. Es hatte auch eine Menge Spass gemacht, sie hatte nette andere Reisende getroffen und sich wunderbar mit denen unterhalten, zudem hatte sie Zeit gehabt all ihre Erinnerungen zu sortieren. Das Wetter war blendend gewesen, die Landschaft atemberaubend und das Reisetempo angenehm gemütlich, so dass man auch Zeit hatte sich tatsächlich „Unterwegs“ zu fühlen. Aber mittlerweile war sie von Eindrücken übersättigt, ihr Hintern tat ihr vom vielen Sitzen weh und all ihre Vorräte waren aufgegessen. Als der Zug schliesslich langsam zum Stehen kam, holte sie ihren Koffer von der Ablage und streckte sich. Sie liebte es zu reisen und Fremdes zu erkunden, aber nach Hause zu kommen war ein Gefühl, dass sie keinesfalls missen wollte und das auf seine eigene Art und Weise sogar ein relevanter Bestandteil des ganzen Reizes war. Während des Alltags kam ihr diese Umgebung oft grau und eintönig vor, aber wenn sie von einer langen Reise zurück kam, fühlte es sich an wie nach Hause kommen, auch wenn es nur ein langweiliges Bahnhofsgebäude aus mittlerweile bunt bemaltem Beton war. Selbst die Luft schien ihr vertrauter zu sein, sie atmete einmal tief ein und machte sich dann mit ihrem Rollkoffer auf den kurzen Weg zu ihrer Wohnung. Die vertrauten Menschen ihres Quartiers, der Lärm der Autos, das Klappern der Baustelle, das wohlvertraute Klicken ihres Schlüssels im Schloss, der typische Geruch ihrer Wohnung. Sie hatte überhaupt keine Lust, ihren Koffer auszupacken oder sich wieder mit dem Alltag zu beschäftigen, aber es war trotzdem ein wunderschönes Gefühl, endlich wieder zuhause zu sein. Sich aufs Sofa setzten, sich in ihre Lieblingsdecke kuscheln, tief durchatmen. Auch wenn sie es liebte zu reisen, fiel jetzt ihr ganzer Stress von ihr ab, sie musste keine Fahrpläne mehr kontrollieren und sich nicht mehr mit Zugverspätungen und Ausfällen beschäftigen, jetzt musste sie sich nur noch erholen.

 

 

Eine andere Halloweengeschichte

 

Teil I

 

Gruselgeschichten habe ich schon die eine oder andere geschrieben, heute möchte ich aber eine etwas andere Halloweengeschichte schreiben. Buuh war ein Geist. Schon seit vielen Jahren, er konnte sich genau genommen kaum mehr daran erinnern, wer er vor seinem Tod eigentlich war. Aber so sehr konnte er sich ja nicht von seinem heutigen Wesen unterschieden haben, er hatte nämlich ein eher lethargisches Wesen und Veränderungen gefielen ihm nicht. Er wohnte in einem alten Haus, vermutlich hatte er schon immer dort gewohnt, er konnte sich zumindest nicht erinnern, jemals irgendwo anders gewesen zu sein. In dem Haus wohnte auch eine nette Familie, die er manchmal beobachtete, wenn ihm langweilig war, aber er liess sie weitgehend in Frieden. Menschen zu erschrecken hatte vielleicht am Anfang seiner Existenz noch Spass gemacht, aber eigentlich war er dafür viel zu faul und er hatte keine Lust, die nette Familie zu vertreiben oder sich im Schlimmsten Fall gar die Geisterjäger auf den Hals zu hetzten. Viel zu viel Aufregung, viel zu anstrengend. Also verhielt er sich still, geisterte nur nachts durchs Haus und gab sich grosse Mühe so zu sein, wie er immer war. Faul und Unauffällig. Dass sein gemütliches Leben ein plötzliches Ende nehmen würde, dass konnte er sich nach all den Jahren wirklich nicht mehr vorstellen. Und doch passierte an einem grauen, nebligen Tag irgendwann zwischen Sommer und Winter genau dass. Buuh hatte es sich auf dem Dachboden gemütlich gemacht und beobachtete schon seit Stunden die Regentropfen, die über das Dachfenster liefen, als plötzlich ein anderer Geist seine Ruhe störte. Er trug einen Mantel und einen Melonenhut und hatte einen offensichtlich schweren Koffer bei sich. „Buuh?“ „Ja?“ Er  erhob sich aus dem alten Ohrensessel und betrachtete den Eindringling neugierig. „Endlich. Ich dachte schon ich würde Euch nie finden. Man hört so gut wie gar nichts über Euch.“ „Hmmm“ Buuh blieb schweigsam. Sein Gegenüber schien von seiner Wortkargheit einigermassen irritiert, fuhr dann aber dennoch fort. „Ich habe einen Auftrag vom Geisterkönig für Euch!“ „Einen Auftrag vom König?“ Nun verlor er doch allmählich seine Ruhe. Er hatte zwar schon davon gehört, dass es irgendwo einen Geisterkönig gab, doch er hatte nicht damit gerechnet, jemals mit ihm etwas zu tun zu haben. „Ja, alles was Ihr dafür braucht oder wissen müsst, findet Ihr in diesem Koffer. Mehr weiss ich aber auch nicht.“ Damit verneigte sich der Melonenträger und verschwand. Buuhs beschauliches Totsein war auf einen Schlag vorüber.

 

 

Teil II

 

Einen Auftrag vom Geisterkönig also. Waren die Geschichten doch wahr. Vorsichtlich näherte er sich dem grossen Koffer, ging erst einmal ein paar Mal vorsichtig rundherum, besah ihn sich von allen Seiten und zweifelte. Sollte er diese Büchse der Pandora überhaupt öffnen? Was konnte schon passieren, wenn er diesen „Auftrag“ einfach ignorieren würde? Tot war er ja schliesslich schon. Doch schlussendlich gewann die Neugier und er öffnete das grosse Schloss. Der Deckel sprang von selbst auf und präsentierte seinen Inhalt: einen langen Reisemantel, wie der Bote ihn getragen hatte, einen Brief und ein paar Geisterdukaten. Auch davon hatte Buuh schon gehört, ohne jemals länger darüber nachgedacht zu haben. Er war schliesslich auch noch nie in eine Situation gekommen, in der er irgendetwas hätte bezahlen müssen. Eine Weile wog er den schweren Mantel und den kleinen Beutel in seinen halbdurchsichtigen Händen, dann legte er sie beiseite und holte ehrfürchtig den Brief heraus. Ein tiefrotes Siegel prangte auf dem Umschlag und er nahm sich ordentlich Zeit, bevor er ihn öffnete. Der Text war dann allerdings lächerlich kurz:
„Geschätzter Buuh
Bitte besucht meine Grossmutter und bringt ihr den Mantel, den sie bei ihrem letzten Besuch bei mri vergessen hat. Die Dukaten sind für Eure Ausgaben und der Rest natürlich als Belohnung.
Euer Geisterkönig“

Was er nun mit diesen Informationen anfangen sollte, war ihm ein komplettes Rätsel. Warum hatte nicht einfach der Bote den Mantel gebracht? Wo lebte denn überhaupt die Grossmutter des Geisterkönigs? Und wie kam er dahin? Sein phlegmatisches Gemüt sehnte sich nach ein paar ruhigen Wochen im Ohrensessel, aber dann packte ihn plötzlich die Reiselust, er steckte das Geld in seine ausgebeulte Hose, warf sich den Mantel über den Arm und ging los.

 

 

Die Mission

 

Teil I

 

Sie hatte ihren Rucksack gepackt und schnürte ihre Schuhe. Die Träger schnitten ihr in die ohnehin gerötete Haut an ihren Schultern, doch das Gewicht hatte etwas so beruhigendes, dass es sie nicht störte. Ein letzter, eigentlich überflüssiger Kontrollgriff, dann stand sie auf und lief los. Den Lagerplatz würde sie nie wieder nutzen, sie brauchte also auch keinen Blick zurück zu werfen. Vor ihr lag ein steiler Aufstieg, doch dass trieb die Kälte der Nacht aus ihren Gliedern und als sie auf dem Pass ankam, ging gerade die Sonne auf. Nach einer kurzen Pause lief sie weiter, unter ihren stabilen Wanderstiefeln knirschten Steine, Blätter, Zweige und zwischendurch raschelte Gras, aber sie war schon so lange unterwegs, dass es sie kaum noch kümmerte, wo sie lang ging, solange sie nicht vom Weg abkam. Dass stellte sie durch regelmässige Blicke auf die abgegriffene, fleckige Karte sicher, obwohl sie diese längst auswendig kannte. Doch sie konnte sich bei diesem Auftrag keinen Fehler und keine Verzögerung erlauben. Am Anfang ihrer Mission hatte das viele Gehen sie ermüdet, aber mittlerweile flogen die Meilen unter ihren Stiefeln nur so dahin, ohne dass sie es sie gross anstrengte. Nach dem Pass und dem folgenden Abstieg durchquerte sie eine grüne Talsohle, in welchem das hohe Gras ihr manchmal bis zu den Hüften ging. Durch einen lichten Wald ging es dann wieder aufwärts und gegen Abend kam sie auf einen Grat, wo der Wind sie etwas aus dem Gleichgewicht brachte. Die Böen waren so stark, dass sie manchmal kaum vorwärts kam und ihr dicker Zopf ihr ins Gesicht gepeitscht wurde. Als es kurz vor dem Eindunkeln auch noch zu regnen begann, verengten sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen und sie presste ihre Lippen zusammen. Si war heute gut vorwärts gekommen und würde sich vom Wetter nicht davon abhalten lassen, auch noch die letzten Meter ihres Tagespensums hinter sich zu bringen. Umso erleichterter war sie, als sie endlich einen Felsvorsprung erreichte und ihren Rucksack gegen einen hohen Stein lehnen konnte. Das Abendessen war simpel und dennoch eine Freude und danach kroch sie unter die warmen Decken. Ein letzter Blick auf die Karte um sicher zu stellen, dass sie sich nicht vielleicht doch verlaufen hatte und ein Kontrollgriff, dann war sie eingeschlafen.

 

 

Teil II

 

Sie war schon seit bald einem Monat unterwegs und sie machte sich allmählich Sogen, wie das Leben sein würde, wenn sie in der Stadt angekommen war und nicht mehr jeden Tag unterwegs war. Vermutlich würde ihr das Gehen fehlen, aber sie war anpassungsfähig und würde wohl ohnehin bald den nächsten Auftrag bekommen. Die Stadt, die sie dieses Mal ansteuerte, hatte sie noch nie besucht und sie war neugierig was sie erwartete, auch wenn sich in die Neugierde auch Sorge mischte, denn eine unbekannte Stadt bedeutete auch unbekannte Gefahren. Doch da es sowieso noch Tage dauern würde, ehe sie überhaupt ankam, schob sie diese Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf die aktuellen Probleme des Tages. Auch ein Grund, weshalb sie so gerne unterwegs war. die Natur stellte sie vor unmittelbare Herausforderungen, die mit einer einfachen, naheliegenden Lösung zu beheben waren. Regen, Wind, Hunger, Durst, Verletzungen. Das war ihr Fachgebiet, hier kannte sie sich aus und hier fühlte sie sich sicher. Und heute fiel es einem ohnehin leicht, die Sorgen zu verdrängen. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und eine leichte Brise sorgte dafür, dass ihr trotzdem nicht zu heiss wurde. Der Pfad führte meistens leicht aufwärts, durch lichte Wälder, sodass der Boden mit Tannennadeln gepolstert war und ihre schmerzenden Füsse eine kleine Pause hatten. Ihren Mittagsrast legte sie an einem schmalen Bach ein, wo sie auch ihre Flasche wieder auffüllte und sich wusch. Als sie wegen des kalten Wassers fröstelte, ging sie weiter und gegen Nachmittag kam sie auf offenere Felder, wo sie sogar ein paar Früchte am Wegrand fand, um ihren Proviant zu ergänzen. Das Leben kann auch ganz schön sein.

 

 

Teil III

 

Als die Stadt in Sicht kam, legte sie eine Pause ein, um das Bild auf sich wirken zu lassen. Die Sonne ging gerade erst auf und das Morgenlicht fing sich in den gläsernen Turmspitzen der Burg. Die Bezirkhauptstadt war wirklich prächtig. Vor ihr lag eine leichte Talsenkung, übersät von kleinen Bauernhöfen und einem trägen Fluss. In der aufgehenden Sonne schimmerte das Wasser rotgolden. Die Stadt selbst lag an einer breiten Flussbank und ihr Kern war umschlossen von einer hellen Mauer aus Sandstein. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie sehen, dass grosse Kunstfertigkeit nötig gewesen sein musste, um eine so fugenlose Mauer zu errichten. Die Häuser waren aus verschiedenen Steinen gefertigt, dennoch gaben sie ein harmonisches Gesamtbild ab. Und inmitten der grössten und edelsten Gebäude ragte die Burg auf. Der Grossteil ihrer Wände war  aus weissem Marmor gefertigt, der bei Sonnenlicht über weite Teile der Region zu sehen war, weil er so hell strahlte. Den oberen Teil ihrer Türme war jedoch eine kunstvolle Konstruktion aus Eisenträgern und Glas. So konnte die Burg gleichzeitig auch als Leuchtfeuer für die Schiffe und als Informationsverteilzentrum für Signalbotschaften verwendet werden.
Mittlerweile war die Sonne vollständig aufgegangen und blendete sie, es wurde Zeit weiter zu gehen. Sie wollte nicht allzu spät am Nachmittag ankommen, um ihre Mission möglichst heute noch zu Ende zu bringen und auch wenn es von hier oben aussah wie ein Katzensprung lagen doch noch etliche Kilometer vor ihr. Während das rotgoldene Licht allmählich verblasste und der Fluss seine normale, grünliche Färbung zurück erhielt, legte sie das letzte wirklich steile Stück zurück, über ausgetretene, schmale Pfade, manchmal fast nur Wildläufe, suchte sie sich den Weg durch eine steile Geröllhalde. Vor ihr lag noch immer der atemberaubende Blick auf das Tal, doch selbst sie mit all ihrer Erfahrung musste sich nun ganz auf ihre Füsse konzentrieren, um nicht abzurutschen und sich womöglich noch so kurz vor dem Ziel zu verletzten.
Als sie dieses anstrengende und fordernde Stück endlich hinter sich gelassen hatte, machte sie noch einmal eine kurze Rast um einen Schluck zu trinken und zu überprüfen, ob alles noch so war, wie es sein sollte. Sie hatte die Soldaten und ihre Verstecke entlang des Abstiegs natürlich bemerkt, doch nun konnte es ihr egal sein. Man würde wissen, dass sie kam und das würde die diplomatischen Formalitäten, die sie so sehr hasste, wesentlich vereinfachen.

 

 

Teil IV

 

Der Rest des Abstiegs war zum Glück einfacher und sie hatte nicht nur Zeit um die Landschaft und das schöne Wetter zu geniessen, sondern auch um ihre Gedanken zu sortieren. Sie musste heute Abend ihren Kopf zusammen haben und es tat gut, jetzt etwas Zeit zu haben um sich darauf vorzubereiten. Nach dem Steilhang kam ein lichter Wald und sie sog den Duft der Bäume in sich ein, dann kam sie auf leicht abfallende Wiesen. Hier gab es gut begehbare Wege und sie kam rasch vorwärts. Noch waren kaum Leute zu sehen, aber sie kam langsam wieder in zivilisiertes Gebiet, das war nicht zu übersehen. Die Wege waren von tiefen Wagenspuren überzogen, auf den Wiesen stand Vieh, eingezäunt und wohlgenährt. Nachdem die ersten Bauern ihr skeptische Blicke zugeworfen hatten, schlug sie sich in die Büsche. Natürlich kümmerte sie sich um ihre Körperhygiene während sie unterwegs war, aber ordentliche Haare oder fleckenfreie Kleider waren in der Natur einfach keine Priorität. Doch nun war es Zeit, sich wieder präsentabel zu machen. Ein kleines Stück Seife und ein Bach mussten es tun, sie wusch sich die Haare und flocht sie dann zu einem ordentlichen Zopf. Sie hatte gar eine extra Garnitur Kleidung nur für ihren Ankunftstag, dass sich das zusätzliche Gewicht lohnte, hatte sie bereits auf verschiedenen Missionen festgestellt. Sie wusch also auch den Rest ihres Körpers und schlüpfte in die sauberen Klamotten, dann kehrte sie auf den Pfad zurück. Nun erntete sie statt schräger Blicke freundliche Begrüssungen, auch wenn die Leute weiterhin reserviert blieben. Früher hatte man ihr oft etwas zu Essen oder zu Trinken angeboten, doch die Zeiten hatten sich geändert. Heute musste man vorsichtig mit den Vorräten umgehen, die man hatte.
Je näher sie der Stadt kam, desto mehr Verkehr herrschte auf den Strassen. Anfangs waren es fast nur Bauern, die zu Fuss unterwegs waren und ihre Waren auf dem Rücken trugen, manchmal trieben sie auch eine Herde vor sich her oder sie hatten einen Ochsen bei sich. Dann kamen immer mehr Wagen hinzu, kleine und schliesslich auch mehrspännige. Statt Ochsen wurden auch immer häufiger Pferde vorgespannt und kurz vor den Stadttoren mischten sich auch noch eine Unzahl von Soldaten, zu Fuss und hoch zu Ross, unter die Passanten. Sie versuchte sich am Rand der Strasse zu halten, denn der Trubel aus Militär, Händlern, Bauern, Kindern und Tieren war ihr nach den Wochen in der Wildnis doch etwas zu viel. Bevor sie durch das hohe Stadttor trat, hielt sie noch einen Augenblick inne um das bunte Treiben auf dem Fluss zu beoabchten, wo Schiffe an- und ablegten, Waren umgeschlagen wurden und Tiere getränkt wurden.

 

 

Teil V

Auch, oder vor allem die Stadt war ein Kulturschock. Obwohl man bei der Planung der Strassen viel Raum gelassen hatten, waren sie völlig verstopft mit Menschen, Tieren und Wagen, an jeder Ecke wurde Essen verkauft und alle brüllten durcheinander. Sie gönnte sich ein warmes Brot direkt von einem Bäcker und knabberte daran, während sie sich langsam mit der Strömung ins Herzen der Stadt treiben liess. Schneller vorwärts kommen zu wollen wäre pure Verschwendung ihrer Kräfte gewesen, denn die Massen liessen sich nun einmal nicht antreiben. Und sie war gut im Zeitplan, die Sonne stand noch immer hoch über der Stadt und verstärkte die Düfte aus den Backstuben, Cafés und Obsthändlern ,aber leider auch den Gestank von Dung, Schweiss, Rauch, Abfall und verdorbenem Essen. Die Hitze, die von der steinernen Strasse machten sie schläfrig, dennoch war sie vor dem bevorstehenden Treffen so aufgeregt, dass sie nicht Gefahr lief, sich zu verlieren. Stattdessen genoss sie es Zeit zu haben sich umzusehen, die kunstvollen Fassaden zu bestaunen und die vielen Menschen zu beobachten. Doch schliesslich hatte auch der langsame Strom sie zu den Toren der Burg geführt und sie musste ihre Bummeltour beenden. Sie blinzelte noch einmal in die Sonne, holte tief Luft und betrat den kühlen Vorraum. Ein Soldat hielt sie auf und so begann er, der mühsame Prozess aus Bestätigungsschreiben vorweisen, Erklärungen abgeben, Diskussionen und Beteuerungen. Sie hasste das, aber daran führte kein Weg vorbei. Erst nachdem sie mehrere Kontrollen passiert hatte, durfte sie den grossen Innenhof betreten, der unter Kennern von Burgen und Palästen im Land als einer der Schönsten überhaupt galt. Das Sonnenlicht fing sich in den Glastürmen hoch über dem Hof und warf eine Kaskade von regenbogenfarbenen Flecken auf den weissen Marmorboden. Geschützt durch die umliegenden Mauern konnte man hier die Fassade der Burg bestaunen, ohne von der hellen Farbe geblendet zu werden. In der Mitte plätscherte ein grosser Springbrunnen und am Rand wuchsen einige Bäume, sorgfältig gepflegt von einem Heer von Gärtnern. Deren grüne Daumen waren auch sonst im Schloss allgegenwärtig. Doch es blieb ihr nicht viel Zeit um sich umzusehen, denn ein Diener in einer schicken hellblauen Uniform holte sie ab und führte sie durch ein Labyrinth heller Gänge in einen schlichten, aber eleganten Raum. Der Fürst sass in einem bequemen Sessel, vor einem hellen Schreibtisch und umgeben von Bücherregalen.
„Ihr habt es also geschafft. Freut mich, Euch endlich hier begrüssen zu dürfen. Nehmt Platz.“

 

 

 

Horror ohne Wirkung

Die Idee für die Geschichte dieses Monats habe ich mir nicht selbst ausgedacht, ich habe sie von der Webseite „Pinterest“, wo es wirklich, wirklich alles gibt. Aber ich fand sie so faszinierend, dass ich einfach nicht widerstehen konnte. Eigentlich ist es nur ein einziger Satz:
>>Schreib eine Horrorgeschichte, in welcher die Hauptperson sich einen Dreck darum schert.<<
Damit habe ich zwar schon verraten, um was es diesen Monat gehen wird, aber ich hoffe ich kann dich mit meinen Einfällen doch noch das eine oder andere Mal überraschen und wünsche dir viel Spass mit lesen.

 

 

Teil I

 

Das Hörspiel in seinen Kopfhörern näherte sich seinem dramatischen Höhepunkt, während Johannes mit grossen, ruhigen Schritten durch die dunkle Unterführung ging. Die teils zerbrochenen Lampen flackerten und warfen ein unruhiges Licht auf die Schmierereien an den Wänden, die er bereits in und auswendig kannte. Er wusste genau, wo er tiefe, schmutzige Pfützen im unebenen Belag umgehen musste und kümmerte sich auch nicht um das Schild am Ausgang, dass Wanderer davor warnte, im Wald den Pfad zu verlassen. Endlich traten seine Stiefel statt auf Asphalt auf den kiesigen Waldweg und Johannes drehte sich nach links. Der Wald war wegen der Fussgänger, die immer wieder im dichten Unterholz verloren gingen zu trauriger Berühmtheit gekommen, doch er kannte den Weg und machte sich keine Sorgen.
Das Hörspiel war mittlerweile zu Ende, alle drei Protagonisten waren einen dramatischen Tod gestorben und er schob die Kopfhörer zurück in die Tasche. Im Wald war es ruhig, noch, nur der Wind säuselte in den bereits herbstgelben Blättern. Der Weg machte ein paar leichte Biegungen und obwohl es stockfinster war, fand er sich trotzdem mühelos zurecht. Er zündete sich eine Zigarette an und leuchtete sich mit der Glut ein wenig seinen Heimweg, dann seufzte er, als plötzlich eine Frau schrie. Gell und markerschütternd. Er kratzte sich am Arm, diese verfluchten Mücken, und ging weiter, als plötzlich ein lautes Geheul erklang, das alles andere als menschlich schien.

 

 

Teil II

 

Johannes überlegte, ob er noch ein Hörspiel hören sollte, entschied sich aber dagegen, auch weil sein Natel fast keinen Akku mehr hatte. Stattdessen trat er die Zigarette aus und schob sich einen Kaugummi in den Mund. Als die Verpackung zu Boden fiel, überlegte er, sie im Dunkeln zu suchen, doch so gross war sein Umweltbewusstsein dann doch nicht und er ging weiter, während weitere Schreie und das Geräusch einer Kettensäge zu hören waren. Wie Klischeehaft dachte er, während er seine Schritte beschleunigte, um möglichst schnell nach Hause zu kommen.
Mittlerweile war der Wald durchdrungen von Hilfeschreien, Schmerzensausrufen und angsterfülltem Kreischen und er schob sich die Kopfhörer nun doch wieder in die Ohren, nicht um etwas zu hören, sondern um weniger zu hören. Der Weg ging nun mehrheitlich geradeaus und er konnte in den Ferne zwischen den Bäumen Licht sehen, dann knallte es plötzlich unfassbar laut und trotz aller Gelassenheit zuckte Johannes dieses Mal zusammen und verlor seinen Kaugummi. Er ging fluchend weiter, während er sich einen neuen in den Mund schob. Das Geschrei, Geheul und Motorengeknatter ging ihm mächtig auf die Nerven, doch daran führte offensichtlich kein Weg vorbei. Der Weg vor ihm war noch immer kaum zu erkennen, auch wenn sich allmählich die Umrisse von den Bäumen und Büschen am Rand aus der Finsternis schälten, doch er hätte sich hier auch in absoluter Dunkelheit zurecht gefunden. Seine Füsse  waren den altvertrauten Kiespfad schon so oft gegangen, dass sie ihn längst auswendig kannten. Und zudem hatte er ja noch die Geräusche, die ihn zielsicher und unfehlbar durch die Nacht leiteten. Das Geknatter der Motorsäge war mittlerweile einem dumpferen Brummen gewichen, dicht gefolgt von einem plötzlichen, markerschütternden Schrei. Johannes bückte sich, um seine losen Schnürsenkel zu binden.

 

 

Teil III

 

Stolpern wäre in der gegebenen Situation nämlich eher ungünstig. Nicht dass er sich wegen der Schreie Sorgen machen würde, doch er hatte keine Lust, sich seinen Kopf oder ein anderes Körperteil in der Dunkelheit zu stossen. Der nächste gellende Angstschrei zerriss die Stille und Johannes grunzte genervt. Mit der Zeit begann das Geschrei ihm nämlich mächtig auf die Nerven zu gehen. Jeden Abend das Gleiche und trotzdem bekam er gelegentlich noch Hühnerhaut. Für einen Augenblick kehrte Stille im Wald ein, er konnte sogar ein paar nächtliche Geräusche der Natur hören. Ein paar Grillen zirpten, irgendwo rief ein Käuzchen und unter seinen Stiefeln knirschte Kies und zwischendurch auch einmal Zweige, hin und wieder raschelte Laub. Aus Langeweile machte er sich eine neue Zigarette an, merkte aber bereits nach dem ersten Zug, dass er eigentlich gar keine Lust darauf hatte und seufzte erneut. Der Weg machte eine leichte Biegung und das Licht kam nun deutlich näher, ebenso wurden die Schreie lauter und das Knattern einer weiteren Maschine. Wieder eine Kettensäge? Oder doch eher eine Fräse? Es war zu weit weg, als dass er es trotz seiner Erfahrung hätte unterscheiden können, doch genau genommen war es auch egal. Er wollte einfach nur so schnell wie irgendwie möglich zurück nach Hause zu seiner Frau. Ein Schuss ertönte und er zuckte zusammen, schüttelte danach ungläubig den Kopf und strich sich über die Jacke. Es knallte noch ein paar Mal und rotes Licht flutete den Wald. Für einen Augenblick konnte er den Weg vor sich genau erkennen, ebenso wie die vielen Bäume um ihn herum und die Umrisse von etwas Grossem, Unförmigen. Es sah aus, als ob sich vor ihm etwas bewegte, doch dann wurde es wieder dunkel und er kniff die Augen zusammen, um sie wieder an das wenige Licht zu gewöhnen. Trotzdem dauerte es einen Moment, bis er de Weg wieder vor sich erkennen konnte. Sobald er nicht mehr Gefahr lief, gegen einen Baum zu rennen, schnippte er die Zigarette weg und beschleunigte seine Schritte.

 

 

Teil IV

 

Die Tragödie schien sich zuzuspitzen, die Schreie folgten sich nun im Akkord, wurden immer lauter, während er sich dem Schauplatz des Geschehens näherte. Licht sickerte mittlerweile durch den Wald, Flutlicht fiel auf das Gemetzel. Blutüberströmte Menschen kamen ihm plötzlich entgegengerannt und verschwanden in einigen Containern, die mitten im Wald auf einer kleinen Lichtung standen. Wieder Geschrei, noch mehr blutenden Menschen, die ihn verwirrt anblickten, dann waren sie hinter ein paar aufgestapelten Kisten verschwunden und er ging weiter. An eine Wand gelehnt standen eine blutige Axt, eine Heugabel und eine Kettensäge, an der noch ein halber Arm hing, doch er ignorierte alle drei Gegenstände. Er stieg über einen verrenkten Körper und fing sich dafür einen verständnislosen Blick ein, dann winkte er Geri zu und trat durch eine provisorische Tür hinaus auf den hell erleuchteten Bürgersteig. Das Tor fiel quetschend hinter ihm wieder ins Schloss und er kniff die Augen gegen das helle Licht zusammen, bevor er weiterging. Zuhause angekommen schloss er seine Wohnungstür auf, trank erst einmal ein grosses Glas Wasser und ging dann ins Badezimmer. Ein Blick auf die grosse Uhr mit Meeresmotiv über der Waschkommode verriet ihm, dass das Freilichthorrortheater mittlerweile im Schlussakt sein musste und die letzten drei Überlebenden den Axtmörder in wenigen Minuten überwältigen würden. Es war wirklich nett von seinem Freund Geri, der dort als Requisitenbeauftragter arbeitete, dass er ihn über das Theatergelände gehen liess. Damit sparte er sich auf dem Heimweg von der Arbeit eine Menge Zeit. Er stieg wieder aus der Dusche, der Mörder stand mittlerweile in einträchtiger Umarmung mit seinen Opfern auf der Bühne und holte sich seinen Applaus ab, holte sich ein sauberes T-shirt aus dem Schrank und legte sich ins Bett. Einen Arm um seine Frau gelegt, war er Augenblicke später eingeschlafen.

 

 

Bücher zum Frühstück

 

Teil I

 

Bücher verschlingen hat für mich eine ganz eigene Bedeutung. Eine sehr Wortwörtliche, um genau zu sein. Ich ernähre mich tatsächlich von Büchern. Ein paar gute Kapitel und ich bin bereit, in den Tag zu starten. Es gibt natürlich unterschiedlich nahrhafte Werke, bei schweren Wälzern wie Dostojewski reichen unter Umständen auch schon ein paar Seiten, um mich satt zu machen und von leichten Büchern kann ich schon einmal einen ganzen Band verschlingen, wenn ich die Zeit dazu habe. Es gibt so viele verschiedene Bücher, die Auswahl ist um einiges grösser, als mit herkömmlichen Lebensmitteln, ich kann mich also glücklich schätzen. In den nächsten vier Wochen möchte ich dir ein paar meiner beliebtesten Menüs vorstellen, ein paar wunderbare Kombinationen die mich immer wieder glücklich machen. Starten will ich aber mit der Präsentation eines normalen Tages, also ohne ausgeklügelte Mehrgangmenüs.

 

Im Moment starte ich meist mit lockerer Sommerlektüre in den Tag, etwas Reiselust zum Frühstück, zum Beispiel das Buch. „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling. Das belebt, motiviert mich selbst Hochleistungen zu erbringen und liegt trotzdem nicht schwer im Magen.

Zum Mittagessen gönne ich mir während der warmen Monate auch gerne ein Kreuzworträtsel, es belebt meine Gedanken, hat viel weniger Gehalt als normale Lektüre und deshalb ideal für die Sommerfigur ;)

 

Wenn mich zwischendurch der kleine Hunger quält, greife ich auch schon einmal zu ein paar Seiten Harry Potter, eine kleine Nascherei die nie aufhört, brillant zu sein.

 

Zum Abendessen gibt es im Augenblick ein paar Kapitel „Eragon“ von Christopher Paolini, zwar etwas exotische Kost mit vielen ausgefallenen Geschmäckern und liegt teils ein bisschen schwer im Magen, aber ich kann davon eben doch die Finger nicht lassen. Dafür schmeckt es einfach zu gut.

 

 

Teil II

 

Heute möchte ich dir ein exquisites Dreigangmenü vorstellen, das durchaus raffiniert ist, aber in der sommerlichen Wärme auch schön locker leicht bleibt.

 

Zur Vorspeise gibt es wegen der Temperatur nur ein Häppchen, ich würde zum Beispiel ein Gedicht von Ingeborg Bachmann empfehlen, diese Texte sind kurz, aber sehr gehaltvoll, vielschichtig und mit Tiefgang, eine Geschmacksexplosion für alle Sinne.

 

Als Hauptgang empfehle ich leichte Lektüre wie ein witziger Krimi aus Skadinavien, zum Beispiel ein Fall von Van Veeteren vom schwedischen Autor Hakan Nesser. Die Geschichten sind durchaus gehaltvoll und spannend, aber mit der Würze skandinavischer Wälder und meist nicht so abgedreht oder brutal, dass sie einem schwer im Magen liegen.

 

Zum Dessert gönnen wir uns einen leicht verruchten Erotik-Roman, wie zum Beispiel Fifty Shades of Grey oder wer die Erotik noch mit dem bittersüssen Aroma einer Vampir-Geschichte würzen möchte, dem würde ich die Geschichten um Sally Steakhouse empfehlen, zum Beispiel Untot in Dallas.

 

 

Teil III

 

Für Leute, die sich jeweils am Wochenende oder an einem anderen Punkt in der Woche mit der Essplanung für die gesamte Woche beschäftigt, sogenanntes Mealplaning, auch für den habe ich hier einige Optionen vorbereitet:

 

Montag: zum Start in die Woche gibt es quasi etwas Gesundes für den Geist, eine Biografie, die mich beim ersten Mal lesen sehr berührt hat. Good Morning Mr. Mandela von Zelda La Grange bietet eine wunderbare Mischung an prickelnder Spannung und belehrendem Grundton.

 

Dienstag: Wer es dann auch einmal gerne etwas ausladender und komplizierter haben möchte, dem würde ich für den Dienstag das Buch Seelen von Stephanie Meyer empfehlen. Ausgefallene Geschmäcker und Wendungen, ein komplexer Aufbau und nicht immer ganz leicht verdauliche Wendungen machen dieses Buch zwar nicht unbedingt zu einfacher Alltagskost, aber definitiv zu einem Erlebnis, dass es wert ist, ausprobiert zu werden.

 

Mittwoch: Ein bisschen Italianità darf in meiner Küche niemals fehlen, deshalb wäre meine Empfehlung für die Mitte der Woche das Buch Nonna Lucia macht Urlaub von Andrea Russo, dass neben italienischer Küche und Lebensfreude auch eine Menge Beziehungsdrama und Liebe enthält. Ein Menü, dass Fernweh weckt.

 

Donnerstag: Meinen Donnerstag widme ich einer gewissen Nostalgie und gönne mir ein paar Kapitel des Buches Drei zu Null für die Bärte von Heiner Gross, ein Kinderbuch, dass man sich mit seinen Robotern, Zwergen und Zauberern auch als Erwachsene immer wieder zu Gemüte führen kann.

 

Freitag: Am Start ins Wochenende muss es oft schnell gehen, weil man noch vieles erledigen muss oder so unkompliziert wie möglich in die freie Zeit starten will, passt das Buch Ich bin dann mal weg von Harpe Kerkeling wunderbar. Schnell zubereitet, leicht verdaulich und mit einer leichten Würze von Abenteuerdrang und Fernweh, was will man mehr?

 

Samstag: Wochenende, die Zeit in welcher wir uns alle erholen und nicht allzu viel Zeit in Essen und Kochen investieren wollen. In solchen Situationen greift man gerne auf bekannte, bewährte Rezepte zurück. Mein Vorschlag wäre daher ein Klassiker wie Der Herr der Ringe von J.R. Tolkien, bei dem man nie etwas falsch machen kann.

 

Sonntag: Das Ende der Woche (oder der Anfang, wie auch immer) nutzen viele Leute für ein Festmahl im Kreise der Familie. Ich würde daher das Buch Flaschendrehen furioso empfehlen, das zwar auf den ersten Blick eine eher seichte, absurde Handlung hat, aber mit extrem vielen italienischen Rezepten und Aromen aufwarten kann und mit einer Geschichte, die im Laufe der Zeilen durchaus eine gewisse Tiefe und Tragik entwickelt.

 

 

Teil IV
Um diese kulinarisch-literarische Serie noch zu einem würdigen Abschluss zu bringen, möchte ich dir ein paar besondere Werke für besondere Augenblicke vorstellen. Denn wie beim normalen Essen auch, gibt es Gerichte und Produkte, die für ganz bestimmte Aufgaben ideal sind.
So bietet auch der Büchermarkt Werke, die sich wie gemacht für lange Wanderungen oder einen Aufenthalt im Weltall sind, die sehr verdichtete Nährstoffe bieten und wenig Platz beanspruchen. Mein Vorschlag für diese Kategorie ist ausnahmsweise ein Autor, statt eines speziellen Buches: Fjodor Dostojewski. Nicht besonders schmackhaft, aber sehr, sehr nahrhaft und ebenso Gehirnnahrung wie Bauchnahrung. Mir zumindest hat das Werk Schuld und Sühne ordentlich Kopfzerbrechen bereitet. Nur Kafka on the Shore von Haruki Murakami zu lesen hat noch länger gedauert, und das auch, weil ich es auf Englisch gelesen habe.

Es gibt aber auch erfreulichere „Spezialfunktionen“, wie zum Beispiel die edle Praline. Meine literarische Alternative wäre in diesem Fall ein kleines, schmales Gedicht, Bild oder Zitatband, dass voller kleiner Leckerbissen ist, die nicht unbedingt satt machen müssen ,sondern nur eine Versuchung sind. Mein gegenwärtiger Favorit sind die Gedichte von Ingeborg Bachmann.
Mein dritter Vorschlag sind kleine Snacks für unterwegs. Die eine Möglichkeit sind natürlich einfach handliche Taschenbücher oder gar die süssen Miniausgaben von der Fischer Taschenbibliothek, zum Beispiel Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran von Eric Emmanuel Schmitt. Eine andere Option wären natürlich auch Kurzgeschichtensammlungen, wobei man hier wie bei einer angefangen Tafel Schokolade oder einer Packung Kekse oder Chips ein bisschen Selbstdisziplin braucht, um nach einer (oder zwei ;)) wieder aufzuhören. Spannende, verrückte Geschichten für unterwegs bieten hier zum Beispiel die Bücher von Franz Hohler.

Ich hoffe sehr, ich konnte mit dieser Miniserie deinen kulinarischen Horizont ein bisschen erweitern und dir den einen oder anderen Leckerbissen vorstellen.
Die Idee mit dem tatsächlichen „Essen“ von Bücher, nur durchs Lesen, stammt übrigens nicht von mir, die habe ich mir von Walter Moers „Buchligen“ aus dem Buch Die Stadt der Träumenden Bücher (sehr lesenwert!) entlehnt.

 

 

Wandermythen

 

Teil I

 

Der Wind war warm und kühlte ihr erhitztes Gesicht kaum, der Rucksack scheuerte schon seit Stunden an ihren Schultern. „Können wir eine Pause machen?“  Laura lachte nur und hüpfte leichtfüssig auf die nächste natürlich entstandene Steinstufe vor ihr. „Komm schon, es ist nicht mehr weit.“ „Warum habe ich mich nur auf diese Wanderung eingelassen?“, murmelte  Julia leise zu sich selbst und strich sich das verschwitzte Haar aus dem Gesicht. „Wie weit ist es noch?“ Ihre Freundin drehte sich um und streckte ihr die schlanke Hand entgegen. „Nicht mehr weit. Du hast es fast geschafft.“ Sie hatte zwar nicht das Gefühl, dass der steile, steinige Pfad bald ein Ende nehmen würde, aber es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als ihrer Freundin zu vertrauen. Schritt für Schritt stemmte sie sich nach oben und versuchte zu vermeiden, den Pfad weiter als ein paar Schritte in den Blick zu nehmen. Die Zeit verging auch so nur schleppend, aber schliesslich erreichten sie tatsächlich einen Felsvorsprung, von welchem aus sie einen atemberaubenden Ausblick auf die Landschaft zu ihren Füssen hatten. Dichter Wald, steile Felsklippen, die beinahe senkrecht in den langgestreckten Meeresarm abfielen. Ein paar Möwen segelten unter ihnen durch und Julia liess sich auf den warmen Felsen sinken. „Das war mit Sicherheit das letzte Mal, dass ich mich von dir zu einer Wanderung hab überreden lassen!“  Laura reichte ihr einen Schokoriegel und setzte sich neben sich. „Die Aussicht ist gewaltig, nicht wahr? Dafür lohnt es sich doch.“ Ihre Freundin antwortete mit einen Murren, für mehr reichte ihre Energie noch nicht. Eine Weile sassen sie schweigend auf der Felsnase und genossen das unglaubliche Panorama, das sich ihnen bot, dann kehrte bei Julia offensichtlich der Tatendrang zurück. „Komm, lass uns weiter gehen. Ich möchte dir noch etwas zeigen.“ Julia rollte mit den Augen, aber schulterte dann doch auch ihren Rucksack wieder. Nun führte der Weg sie weitgehend geradeaus, zwar immer noch über Geröllfelder, aber immerhin nicht mehr so steil auf und ab und die beiden jungen Frauen konnten oft nebeneinandergehen und sich unterhalten. Als sie schliesslich die kleine Hütte erreicht hatten, war Julia wirklich am Ende ihrer Kräfte, doch die Aussicht belohnte sie für alle Anstrengungen. Sie waren wieder auf einer kleinen Plattform angekommen, eine kleine Wiese voller Blumen, an deren steiler Rückwand sich ein winziges, krummes Holzhaus lehnte. „Na, habe ich zu viel versprochen?“ „Pffff“, Julia liess ihren Rucksack auf den Boden plumpsen und tauchte ihr verschwitztes Gesicht in den Brunnen. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, schüttelte sie den Kopf. „Nein, hast du nicht. Aber ich werde mir dennoch gut überlegen, ob ich mich noch einmal von dir auf eine solche Wanderung mitschleppen lasse.“ Sie lachten beide und spätestens nachdem das duftende, einfache Abendessen auf dem verwitterten Holztisch stand, hatte auch Julia alle Anstrengung vergessen und sie genossen nach dem Essen den wunderschönen Sternenhimmel, der sich über ihnen ausbreitete. Sie hatten es sich mit Tee gemütlich gemacht, als Laura sich plötzlich mit blitzenden Augen vorlehnte und ihre Tasse beiseite stellte. „Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Meine Grossmutter hat sie mir beigebracht und jedes Mal wiederholt, wenn wir zu dieser Hütte hinaufgestiegen sind.“ Davon abgesehen, dass Julia sich nicht vorstellen konnte, wie Lauras Grossmutter hier hoch gekommen war, brannte sie aber unbedingt auf diese Geschichte.

 

 

Teil II

 

„Die Geschichte erzählt von Steintrollen und wie dieser Felsvorsprung entstandene ist. Hast du schon einmal von Steintrollen gehört?“
Laura lehnte sich wieder zurück und blickte nach oben in den Sternenhimmel.
„Nicht? Umso besser, Also:
Vor vielen, vielen Jahren gab es hier an dieser Stelle keinen Vorsprung, sondern lediglich eine steil abfallende Felswand, wie rundherum auch. Überhaupt sahen die Berge an vielen Stellen noch ganz anders aus, die Form, wie sie sie heute haben, bekamen sie erst während der Kriege der Steintrolle. Es begann alles aus einer Lappalie heraus, da sind sich die Quellen auch nicht ganz einig, einige sprechen davon, dass die eine Familie der anderen ihren Hausstein gestohlen hat, andere Berichte sprechen von Streit um Essen oder Hochzeiten.“
 „Haussteine?“
Julia unterbrach den Redefluss ihrer Freundin.
„Was sind Haussteine?“
„Auch ein alter Mythos um die Steintrolle, jede Familie soll der Sage nach einen eigenen, besonderen Stein haben, der an einem ausgesuchten Ort im Haus ausgestellt wird. Verschwindet dieser Stein, droht der Familie grosses Unglück. Kann ich jetzt weitererzählen?“
„Natürlich“, murmelte Julia kleinlaut.
„Also, es brauch auf jeden Fall Krieg aus, Ursache nicht ganz klar, aber es gab Krieg. Die Trolle gerieten sich anfangs wegen Kleinigkeiten in die Haare, doch diese Konflikte gerieten schon sehr bald ausser Kontrolle. Statt nur über ein altes Wegerecht zu streiten, begannen sie sich gegenseitig am Wegrand aufzulauern und anzugreifen, statt nur um Tauschpreise zu feilschen, wurde Essen nun gebunkert oder den anderen gar vergiftete Ware angedreht. Das ging so weit, dass die Trolle sich schon bald nicht mehr über den Weg trauten und sich sogar gegenseitig umbrachten, wenn sie sich rein zufällig begegneten, aus Furcht selbst angegriffen zu werden. Dieser ausufernde Konflikt betraf natürlich auch alle anderen Bewohner der Berge, doch niemand hatte den Mut, sich den Steintrollen in den Weg zu stellen oder gar das wahnwitzige Unterfangen zu versuchen, zwischen den Fronten zu vermitteln. Zumal es mittlerweile ohnehin jeder gegen jeden hiess. Währenddessen eskalierte der Streit weiter und wurde zu einem regelrechten Krieg. Statt sich „Nur“ beim Zusammentreffen Böses zu wollen, begann man nun die Wohnstätten der übrigen Trolle anzugreifen, mit einfachen Steinkatapulten, mit ihren Fäusten und was ihnen sonst noch in die Finger kam. Wer konnte, floh aus den Bergen, um dem Krieg zu entgehen, die anderen zogen sich zurück und versteckten sich in Höhlen und Felsspalten. Wobei es auch dort nicht unbedingt sicher war, weil die Trolle nun sogar begannen, ganze Stücke aus dem Felsen zu brechen und damit nach ihren Feinden zu werfen.
Es
waren grausame Jahre mit vielen Toten.“
Laura machte eine Kunstpause.

 

 

Teil III

 

„Als der Krieg schliesslich seine blutigen Höhepunkt erreicht hatte, war die Bevölkerung der Steintrolle auf die knappe Hälfte zusammengeschrumpft, die einen waren getötet worden, andere waren ausgewandert oder aufgrund der Wirrungen des Krieges sogar verhungert.“ Laura senkte ihre Stimme, ehe sie fortfuhr. „Schliesslich gab es kaum noch Trolle, die noch Energie und Ressourcen für Kämpfe hatten. Für die übrigen Bewohner der Berge kehrte nun allmählich wieder Ruhe ein, man ging den Trollen weiterhin aus dem Weg, doch es gab immerhin keine groben Auseinandersetzungen mehr. Die Steintrolle jedoch kämpften mit den Auswirkungen, den Hungersnöten und vor allem mit dem noch immer brodelnden Hass gegeneinander. Schliesslich kam der Tag, auf den die Überlebenden so lange hingearbeitet hatten, die beiden Oberhäupter der am meisten verfeindeten Familien trafen aufeinander. Sie wurden zwar von ihren Familien begleitet, doch als der Kampf begann, zogen sich die übrigen Trolle zurück und verkrochen sich genauso wie alle andere Bergbewohner, denn es wurde ein Kampf, wie man ihn noch nie erlebt hatte.“ Nun lehnte sie sich zurück und blickte wieder hinauf in den Himmel. „Ich werde dir die Details ersparen, aber der Himmel war voller Steine, die Luft voller Schreie, das Blut floss in den Tälern. Felsklippen splitterten, Bergspitzen brachen, kurz gesagt, das gesamte Gebirge im Umkreis der Kämpfenden wurde in Schutt und Asche gelegt. Und genauso entstand auch dieser Vorsprung hier.“ Julia erschauert ab der grausamen Geschichte, doch als ihre Freundin hier offenbar aufhörte, protestierte sie. „Und, wie ging der Kampf aus?“ Laura zuckte die Schultern. Dass weiss man nicht. Seit diesem Kampf sind die Steintrolle verschwunden. Vielleicht haben sie sich alle gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, vielleicht sind die anderen geflohen, vielleicht wanderten sie nach der Zerstörung ihrer Heimat aus, es gibt da viele Theorien.“ Es entstand eine längere Pause, in welcher Julia versuchte sich vorzustellen, wie es hier zu dieser Zeit ausgesehen haben musste. Schliesslich stand Laura auf. „Kommt, wir sollten uns hinlegen, morgen haben wir noch ein gutes Stück Weg vor uns!“
Julia seufzte.

 

 

Lieber fleissiger Geschichtenleser, falls es dich denn gibt:

Leider muss ich dich für diesen Monat vertrösten. Der Mai ist für mich ziemlich vollgepackt mit Prüfungen und Referaten aller Art, weshalb ich mich dazu entschlossen habe, keine Geschichte hochzuladen, um mir etwas mehr Freiraum fürs Lernen zu schaffen, denn das Schreiben und Überarbeiten der Texte für Wunderwörter nimmt doch einiges an Zeit in Anspruch. In der letzten Maiwoche werde ich möglicherweise auch alle anderen Uploads weglassen, wir werden sehen wie entspannt ich in die Schlussphase gehen kann. genauere Infos findest du immer auf meiner Startseite und ich werde dich auf jeden Fall auf dem Laufenden halten!
vielen Dank für dein Verständnis! Wenn du in der Zwischenzeit Themenvorschläge oder „Writing Prompts“ für den Juni hast, kannst du sie mir gerne in den Kommentaren deponieren oder mir an diese Mailadresse schicken:
wunderwoerter@gmx.ch

 

Bis zum nächsten Mal!
Carina

 

 

Kaffeegeschichten

Eine Lobeshymne

Zwar nur langsam und zögerlich, aber doch stetig kommt der Frühling. Man kann wieder in der Sonne sitzen, draussen lesen, plaudern, schreiben, lernen und dabei Kaffee trinken. Das hat mich dazu inspiriert, statt einer zusammenhängenden Kurzgeschichte mich in diesem Monat vier kurzen Kaffeegeschichtchen zuzuwenden. Mit knackiger Länge, sodass man sie gut zu einem Kaffee in der Sonne geniessen kann. Die erste Geschichte soll den auch nicht direkt eine Geschichte im klassischen Sinne sein, sondern eher meine persönliche Lobeshymne auf den „Türkentrank“ (Nein, ich bin nicht rassistisch, ich zitiere nur ein bekanntes Kinderlied ;)) Den Geschmack von Kaffee mochte ich schon immer gerne, Mokkaglace und Yoghurt gehören zu meinen absoluten Lieblingssorten. Mein Verhältnis zum Getränk selbst war dann lange Zeit etwas schwierig. Ich mag auch diesen Geschmack sehr gerne, mit der Wirkung des Koffeins in meinem Körper hatte ich allerdings meine Probleme. Während der Kantizeit spöttelten meine Mitschüler gar, ich  bräuchte keine Drogen, Kaffee genügte völlig. Tatsächlich machte das Koffein mich unglaublich hibbelig, was mir durchaus unterhaltsame Nachmittage bescherte, aber auch ein bisschen nervig sein konnte. Während meines Aufenthalts in Norwegen hat sich Kaffee dann aber immer mehr in meinen Alltag geschlichen. Das absolute Lieblingsgetränk der Norweger ist dermassen allgegenwärtig und meine Arbeitskollegen hatten einen solch immensen Konsum, dass es wohl ein bisschen ansteckend war. Immerhin gelang es mir aber, von den anderen Suchtmitteln die Finger zu lassen, die nach der Aussage meiner Kollegen früher oder später jeden hier erwischen würden! Während dieser Zeit habe ich auch meine Ansprüche an Kaffee zurückgestellt, das Mittel der Wahl war dort nämlich Filterkaffee, am liebsten schwarz. Ich war nie ein Fan von Zucker im Kaffee, mittlerweile kann ich ihn aber (meistens) auch problemlos schwarz trinken, auch wenn ich gegen ein bisschen Milch nicht nein sagen würde. So bin ich nun eine, wie ich sagen würde, moderate Alltagskaffekonsumentin, was aber nicht heisst, dass ich überhaupt keine Probleme mehr mit Koffein hätte. Gerade die Version, die mein Freund am liebsten trinkt, ist mir persönlich meistens ein bisschen zu stark. Dafür habe ich den löslichen Kaffee als Frühstücksgetränk für mich entdeckt, da ich eine Alternative für meine frische Kuhmilch mit Schoggipulver suchen musste. Diese Version des Kaffees hat einige Vorteile für mich, er schmeckt gut, ist nicht so stark dass er mich gleich morgens schon zum Flummi macht und sorgt doch dafür, dass ich nicht erst um 12 wach genug bin, um tatsächlich produktiv zu arbeiten. Und die Entdeckung von koffeinfreiem Kaffee erlaubt mir den Kaffeegenuss auch an Tagen, an welchen ich sonst schon nervös genug bin, wie zum Beispiel vor Prüfungen. Vom Frühstück abgesehen bin ich mittlerweile auch Fan des Nachmittagskaffes, vor allem am Freitag auf der langen Zugfahrt nach Hause. Jetzt zum Beispiel sitze ich im TGV nach Zürich, halte mein Gesicht in die Sonne und trinke Kaffee, Ed Sheeran im Ohr. Ich kenne die Strecke und ich fahre auch recht oft TGV, aber so fühlt es sich doch ein kleines bisschen nach Urlaub an.

 

 

 

Vom Kaffeeduft

 

Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee durchzog die kleine Wohnung. Brotkrümel auf dem Küchentisch zeugten vom hastigen Frühstück, daneben Flecken der Tomatensauce von gestern und ein paar andere, Wein, Schokolade, Wasabi. Er sollte wieder einmal wischen. Endlich war alles Wasser durch das Kaffeepulver aufgestiegen, die letzten Tropfen zischten, der Kaffeegeruch wurde noch intensiver. Er nahm den Krug vom Herd, goss das schwarze Getränk in seine Lieblingstasse, dazu ein Schuss Milch, kein Zucker. Einen Moment blieb er am Küchentisch sitzen, blickte hinaus in die weissen Wolken, die vor seinem Fenster vorüberzogen. Zwischendurch blinzelte auch die Sonne durch und er überlegte, ob er nicht vielleicht doch ausgehen sollte, dann fiel sein Blick auf die vielen Papiere und er verwarf die Idee wieder. Nachdem der Kaffee ausgetrunken war, setzte er noch einen Krug auf und zog sich um. Statt des alten, verwaschenen Pyjamas schlüpfte er in seine modische Jogginghose, dazu ein gemütlicher Pullover. Schliesslich zog er in seine bequemen Pantoffeln an  und schlurfte in die Küche zurück. Auf dem Weg dahin atmete er erneut tief den Duft ein, bis er die Träumerei mit einem Seufzer beendete und den nun leeren Kaffeekrug in den Schüttstein stellte. Mit der randvollen Tasse ging er behutsam ins Arbeitszimmer. Der einzige Raum, der grosse Fenster hatte und nicht, wie der Rest der Wohnung, an einen Bunker mit Schiessscharten erinnerte. Er konnte Menschen sehen, die alleine oder in Gruppen auf der Strasse unten vorübergingen, sich offensichtlich unterhielten, Schaufenster studierten oder blindlings vorwärtshasteten. Nicht wenige trugen Kaffeebecher mit sich und er musste lächeln, waren sie doch alle derselben Sucht verfallen. Vielleicht sollte er doch hinausgehen, ein paar Bekanntschaften machen? Freunde besuchen? Doch wieder fiel sein Blick auf die Papiere und er setzte die Tasse entschlossen ab. Schreiben war nun einmal ein einsames, in sich gekehrtes Gewerbe.  Er nahm noch einen Schluck zur Stärkung, denn hier begann seine tatsächliche Geschichte.

 

 

Aus dem Gartencafé

 

Sie sassen schweigend an dem kleinen, runden Tischchen, auf den typischen, unbequemen Gartenstühlen, und blickten hinaus auf den Bürgersteig. Rund um sie herum blühten mediterrane Blumen in schicken Terrakottakübeln, das Sonnenlicht brach sich im bunten Glas der kleinen Laterne, die auf ihrem Tisch stand. Bienen summten um sie herum und doch brausten nur wenige Schritte von ihnen entfernt Autos vorbei. Von den schlichten weissen Tassen stieg der herrliche Kaffeeduft auf und daneben lagen auf einem kleinen Teller einige Kekse. Sie schwiegen beide, aber es war nicht dieses seltsame, verkrampfte Schweigen, das manchmal entsteht, wenn man sich nichts zu sagen hat, sondern ein entspanntes Schweigen, dass es nur zwischen Menschen gibt, die sich gegenseitig gut kennen. Er hatte seine Nase tief in ein Buch vergraben, vor ihr lag ein aufgeschlagenes Notizbuch, doch sie hatte ihren Stift beiseite gelegt, um das Treiben um sie herum zu beobachten. In ihrem Rücken die schmucke, alte Fassade ihres Lieblingscafés, und um sie herum die kleine grüne Oase und direkt vor ihr das Pulsieren der Stadt. Auf der anderen Seite der Strasse standen ebenfalls Stühle draussen, der Italiener hatte seine Tische mit kleinen Töpfen voller Kräuter dekoriert und lockte mit einer riesigen Glace-Karte. Auch dort sassen Menschen in der Sonne und beobachteten schamlos die Fussgänger. Es hatte etwas Voyeurhaftes, anderen Leuten beim Zusehen zuzusehen. Schliesslich wendete sie sich aber den Vorübergehenden auf ihrer Strassenseite zu. Es war Wochenende und überdurchschnittlich viele Familien und Paare flanierten vorüber. Erstere hielten ihre Kinder fest, um sie im Trubel nicht zu verlieren, letztere hielten Händchen. Dazwischen gab es aber auch all diejenigen, die ihren ganz normalen Pflichten nachgingen, auf dem Weg zur Arbeit und zurück nach Hause waren, Einkaufen gingen, während des Laufens ihre Telefonate erledigten. Wortfetzen zogen an ihr vorüber, „Walther, hast du Jonathan gesehen? Jonathan, wo steckst du schon wieder, Walther, jetzt hilf mir doch mal!“, eine Mutter, die im Gedränge ihren Sohn suchte, „No, it is definitely impossible to finish this project until Monday, we need more time!“, ein Geschäftsmann der mit starkem Schweizer Akzent in sein Telefon brüllte, „Komm, wir sehen uns die Kirche an, im Reiseführer steht, dass es sich lohnt“, ein Touristenpaar, das über und über mit Kameras behangen war. Sie schmunzelte und nahm ihren Stift wieder zur Hand. Warum Jonathan wohl in der Menge verschwunden war? Hatte er seine Eltern aus den Augen verloren oder hatte er etwas gesehen, dass ihm spanneder vorkam als der Familienspaziergang? Was  für ein Projekt konnte unmöglich bis Montag fertig sein? Warum hatte sich das Paar ausgerechnet ihre Stadt für ihren Urlaub ausgesucht? So viele Fragen, so viele unterschiedliche Existenzen zogen hier im Eiltempo an ihr vorüber und sie fragte sich, was diese Menschen wohl gerade dachten und fühlten. Vielleicht fragten sie sich ja, warum die Frau mit dem abgegriffenen Notizbuch neben ihrer Kaffeetasse sie so schamlos angestarrt hatte.

 

 

Ein sonderbares Frühstück

 

Als ich aufwachte, zog der Geruch frisch aufgebrühten Kaffees durch meine kleine Wohnung. Ein wunderbares Aroma, nicht wahr? Aber nicht für mich, ich spürte wie eine Welle der Panik mich erfasste, während ich mit aufgerissenen Augen dalag, unfähig mich zu bewegen. Dann rollte ich mich langsam aus dem Bett und schlich vorsichtig zur Tür, meine Beine noch immer butterweich.

 

Denn ich lebe alleine…

 

Natürlich hatte ich nichts in meinem Schlaf- und Badezimmer, womit ich mich hätte verteidigen können, alles auch nur halbwegs Nützliche befand sich in der Küche. Vielleicht war es Leichtsinn, vielleicht war ich einfach immer noch nicht wach, aber ich beschloss, jetzt genau dahin zu gehen. Ich stand also auf, warf mir einen aufmunternden Blick in dem grossen Korridorspiegel zu und ging direkt in die Küche. Keine Ahnung, woher diese plötzliche Angstlosigkeit kam. Mit einem Ruck stiess ich die Tür auf und blieb dann im Rahmen stehen. An meiner Küchenzeile lehnte ein junger Mann und sah der Kaffeemaschine bei der Arbeit zu. Er trug schlichte Kleidung in gedeckten Farben, seine dunklen Haare waren zurückgekämmt, sein Rücken und seine Schultern sahen muskulös aus. Weiter auf meiner Mutwelle reitend, räusperte ich mich. Er schien keineswegs überrascht und sagte, ohne sich umzudrehen: „Oh, gut, du bist wach, setzt dich doch.“ Er deutete auf meinen Küchentisch und als ich ganz in den Raum trat, konnte ich das liebevoll hergerichtete Frühstück auf meinem alten Küchentisch sehen. Es gab Zopf, Joghurt, Müesli, Früchte und sogar einen kleinen Blumenstrauss. Und der Fremde hatte gar mein bestes Geschirr herausgesucht! Wie befohlen setzte ich mich und wartete mit ihm, bis der letzte Tropfen Kaffee in die Tasse gefallen war. Ein bisschen irritiert zwar, aber noch immer fühlte ich keine Angst. Dann endlich drehte er sich zu mir um. „Schön dich zu sehen“, er stellte mir meine Tasse hin, „wir müssen reden.“ Seine grauen Augen blitzten, als er sich mir gegenüber setzte.

 

 

Kriegsvorbereitungen 

 

 

Neuer Monat,  neues Geschichtsprojekt. Im Februar hatte ja bereits meine Detektivin aus frühsten Schreibtagen ihren Einstand gegeben, die Geschichte des Monats März möchte ich nun Serafin widmen, der Hauptfigur meines Buchprojekts. Viel Spass mit Reinschnuppern.

Teil I

 

Hinter seinem Rücken konnte Serafin das laute Klirren von Eisen auf Eisen hören, doch er drehte sich nicht um, sosehr war dieses Geräusch bereits Teil seines Alltags geworden. Er stand im Schatten einer Laube, gut geschützt vor der prallen Sonne welche die Kämpfer im Innenhof blendete und ihnen den Schweiss aus allen Poren trieb, obwohl es noch Frühling war. In seiner Hand liess Serafin einen langen, an beiden Enden angespitzten Stock kreisen, doch für heute hatte er genug trainiert und liess nun die jungen Soldaten für sich üben. „Echorin, kommt Ihr?“ Sein Freund schlug seinem Gegner das Schwert aus der Hand und setzte ihm sein eigenes auf die Brust. Dann brach er in schallendes Gelächter aus, liess es mit einem leisen Surren in die Scheide zurück sausen und folgte Serafin. Der junge Mann war zwar zierlich gebaut, doch von seiner edlen Gestalt und dem freundlichen Gesicht durfte man sich nicht täuschen lassen, er war flink und stark und konnte sich ganz nebenbei auch noch Prinz nennen. Im Schloss herrschte überall Hochbetrieb und so zogen sie sich auf die Spitze des Wachturms zurück, wo es einen kleinen Balkon gab. Der noch immer winterlich kalte Wind und die über 300 Treppenstufen sorgten dafür, dass sie dort meistens unter sich blieben. Endlich oben angekommen liessen sie sich schweigend auf die schmale Bank nieder und Serafin streckte seine Beine aus und reckte sein Gesicht in die Sonne. „Sie machen Fortschritte, nicht wahr?“ „Ja das tun sie“ Er öffnete die Augen wieder. „Allerdings steht uns noch sehr viel Arbeit bevor…“ Wieder schwiegen sie einen Moment. Schliesslich stand er auf und lehnte sich das Geländer, was dem Prinzen innert Sekunden Schweisstropfen auf die Stirn trieb. Doch er sagte nichts und Serafin schmunzelte, er wusste wie sehr der junge Mann unter Höhenangst litt, doch es schadete ihm nicht sich dieser Angst zu stellen. Schliesslich wendete er dann seinen Blick der Stadt zu und seufzte erneut. Noch immer lag ein nicht unbeachtlicher Teil der Hauptstadt Taimur in Trümern, die Aufbauarbeiten kamen nach dem grossen Unglück im Herbst nur schleppend voran. Das Notlager im rechten Flügel des Schlosses war zwar Grössenteils aufgelöst, fast alle hatten mittlerweile eine zumindest temporäre Bleibe gefunden. Dennoch war das Elend in den Strassen selbst aus dieser Höhe zu sehen. Es kostete ihn sichtlich Überwindung, doch schliesslich stellte Echorin sich neben ihn. „Habt Ihr Angst vor dem Kampf?“ „Natürlich!“ Serafin zögerte keine Sekunde mit seiner Antwort, dachte dann aber noch einen Augenblick nach. „Wir wären töricht, wenn wir uns vor einem solchen Krieg keine Sorgen machen würden. Aber ich habe nicht nur Angst, sondern auch Zuversicht.“ Der Prinz zog seine Augenbrauen hoch und deutete in den Innenhof, der von hier oben ein dunkles Rechteck voller winziger Menschen war. „Wegen ihnen?“ Serafin schmunzelte, er wusste worauf er hinaus wollte. Viele der Soldaten im Dienste des Königs hatten nur wenig Erfahrung im Kampf gehabt und es war eine schiere Mammutaufgabe, aus ihnen Krieger zu machen, eine Aufgabe, die vor allem auf Serafins Schultern ruhte. „Auch. Sie machen grosse Fortschritte, aber vor allem habe ich grosses Vertrauen in Euch und Lom und alle anderen.“

 

 

Teil II

 

Die Trainingseinheiten waren zwar anstrengend und intensiv und nahmen Serafin für einen Gutteil des Tages ein, doch es blieb noch mehr als genug Zeit um sich zu sorgen. Zwar hatte der König auch seinen guten Beitrag geleistet, ihn beschäftigt zu halten, es kam oft vor, dass er die gesamte restliche Zeit seines Tages auf Achse war, mit Bauern und Ministern verhandelte, zwischendurch jemandem die Hand schüttelte, Fragen beantwortete und verirrte Schlossbewohner zu ihren Gemächern zurück führte. Denn die Hauptstadt hatte sich mittlerweile in ein wahres Flüchtlingslager verwandelt, wobei in erster Linie Minister, Adlige und Krieger herkamen, die dem König zum einen im Krieg beistehen wollten, aber zum anderen aber auch ganz bestimmt ein Wörtchen mitreden wollten. Und sich alle im Schloss unterbringen und durchfüttern zu lassen. Das war dann in erster Linie die Aufgabe von Serafin und Echorin, sie versuchten die Versorgung der Gäste zu organisieren ohne den Staatshaushalt zu ruinieren. Überhaupt waren sämtliche Menschen im Umfeld des Königs sehr stark eingebunden, zum Einen weil es wirklich sehr viel zu tun gab, zum anderen aber auch weil niemand von ihnen Zeit haben wollte, sich Sorgen zu machen.

 

Mittlerweile war es über Taimur dunkel geworden und die beiden sassen vor dem Kamin im Studierzimmer des Königs, das bei der momentanen Überbevölkerung des Schlosses als eine Art Aufenthaltsraum fungierte. Im Hintergrund war daher leises Geplapper zu hören, doch sie hatten sich längst an die Allgegenwärtigkeit von anderen gewöhnt. Serafin seufzte. „Ich vermisse Ileon. Er hätte bestimmt gewusst, wie man in einer solchen Situation handeln muss.“ Echorin schloss die Augen. „Ich hätte Euren Mentor gerne einmal kennen gelernt. Er muss eine aussergewöhnliche Persönlichkeit gewesen sein!“ „Oh ja, das war er!“ Lom war zwischen ihre Sessel getreten und blickte nachdenklich-traurig in die Flammen. „Ich wünsche mir auch jeden Tag ich könnte ihn um Rat fragen.“ Der Alte liess sich auf einen freien Stuhl sinken und schloss gedankenverloren die Augen. „Immerhin haben wir Euch.“ Echorin grinste dem alten Mann zu und auch dieser musste plötzlich lächeln. „Ich gebe mein Bestes.“ Er griff nach einem Buch und versank zwischen dessen Zeilen, während Serafin und der Prinz noch gemeinsam ihre Aufgaben für den nächsten Tag durchgingen.

 

 

Teil III

 

„Serafin, ich weiss Ihr tut was Ihr könnt, aber wir müssen noch mehr Geld sparen. Die Versorgung der Gäste kostet viel zu viel.“ Der erste Minister schloss das dicke Notizbuch vor sich und lehnte sich seufzend in seinem Sessel zurück. Serafin tat es ihm gleich. „Habt Ihr Ideen, wie ich das anstellen könnte? Immerhin seid Ihr hier der ausgebildete Minister.“ Das klang bissiger, als er es beabsichtigt hatte, aber die Anstrengungen der letzten Wochen zerrten auch an seinen Nerven. „Vielleicht könnten wir bei der Verpflegung  sparen? Versucht es doch noch einmal mit den Bauern. Doch wie dem auch sei, ich muss los und bin sicher, Ihr findet eine Lösung.“ Er stand auf und war im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden. Serafin atmete erst einmal tief durch.  Die Bauern waren in seinen Augen schon längst die Verlierer des Krieges und es lag keineswegs in seinem Ansinnen, sie noch weiter auszunutzen. Aber der erste Minister hatte recht, die Verpflegung war vielleicht tatsächlich ein Punkt, an welchem er ansetzten konnte.

 

Ein paar Stunden später ging er, wegen der beissenden Kälte dick eingepackt, über den verschachtelten Bauernmarkt und sprach mit einigen der Landwirte. Wie immer um diese Urzeit war der kleine Platz vollkommen überlaufen, Einkäufer und Verkäufer drängten sich um die engen Stände, feilschten um Kartoffeln, Mais und anderes Gemüse oder stritten lauthals über Preise und Mengen. Einige der Händler kannte Serafin bereits ziemlich gut, andere überhaupt nicht, daher nahm er sich eine ganze Weile Zeit, um sich die unbekannteren Gesichter genauer zu besehen. Denn sein Plan funktionierte nur bei bestimmten Zielgruppen und er versuchte damit nach Möglichkeit auch nicht allzu viel Aufsehen zu erregen. Schliesslich sprach er eine gutes Dutzend Bauern an und dank seiner Recherche war er bis auf einmal immer erfolgreich. Er hatte tiefere Lebensmittel ausgehandelt, bot jedoch den Bauern dafür an, ihre Kinder in der Schlossschule unterrichten zu lassen. Dass würde zwar eventuell aufgrund der zusätzlichen Menge an Schülern der Qualität ein bisschen schaden, aber der Vorteil für die Bauernkinder (und das Staatsbudget) war unbestreitbar. Allerdings musste er zusehen, dass nicht allzu viele Leute davon Wind bekamen, denn auch die Schlossschule hatte ein begrenztes Budget und Platzverhältnisse.

 

 

Teil IV

 

In dem Schulzimmer war es düster und stickig, ein paar rauchende, flackernde Kerzen spendeten etwas trostloses Licht. Dennoch kritzelten die Kinder mit voller Konzentration winzige Buchstaben auf ihre Blätter und hingen ihren Lehrern bei jedem Wort an den Lippen. Diese hielten sie dazu an, möglichst wenig Papier zu verschwenden, doch davon abgesehen hatte sich am Schulbetrieb seit Serafins Idee kaum etwas geändert. Natürlich war die Zahl der Schüler sprungartig angestiegen, doch nicht wenige Lehrer schwärmten davon, wie viel konzentrierter und ernsthafter diese nun bei der Arbeit waren. Serafin hatte sich während einer kurzen Pause kurz in eines der Zimmer geschlichen, um sich selbst ein Bild der Sache zu machen und sicher zu stellen, dass er kein Desaster angerichtet hatte. Da jedoch alle mehr oder weniger zufrieden wirkten, beendete er seine Visite und  schlich sich wieder hinaus. Echorin hatte heute anderweitige Verpflichtungen und da er viel zu oft im Innern der Schlossmauern feststeckte, strolchte Serafin nun durch die Gassen der Stadt. Zwischen wiederaufgebauten Häusern und Ruinen spannten die Anwohner bereits wieder Wäsche, es roch nach Essen und Abfall und dicke Rauchschwaden stiegen in den grauen Winterhimmel. Serafin nahm sich Zeit, all diese kleinen wunderlichen Dinge anzuschauen, er versuchte seinen Kopf frei zu bekommen und durchzuatmen,  als ihn eine überraschend starke Hand plötzlich von hinten packte und ihn in eine dunkle Gasse zerrte. Noch während er sich von dieser Überraschung erholte, spürte er bereits eine kalte Klinge an seinem Adamsapfel. „Endlich habe ich Euch.“ Eine schneidende  Stimme flüsterte ihm ins Ohr.  „Was wollt Ihr?“ Serafin konnte ein leichtes Zittern seiner Stimme nicht verhindern, zumal das Messer ihm das Schlucken erschwerte. „Erst einmal nur Euch und dann Euren blaublütigen Freund.“ Gänsehaut breitete sich auf Serafins Körper aus, die Art und Weise wie der Fremde „blaublütig“ ausgesprochen hatte, machte deutlich dass er mehr wusste als er sollte. Zu viel. Mit einer plötzlichen, schwungvollen Bewegung wirbelte er herum und drehte dem Angreifer den Arm auf den Rücken. Das Messer ritzte zwar seinen Hals, doch da die Wunde nicht  gefährlich war, kümmerte er sich nicht um das Blut, dass auf den Boden tropfte. Darüber hinaus war er damit beschäftig die Klinge abzuwehren, die der Mann, der ein dunkles Gewand mit Kapuze trug, ihm in den Bauch rammen wollte. Er blockte dessen Schwungarm und brach ihn mit lautem Knacken das Handgelenk. „Wollt Ihr wohl endlich stillhalten“, knurrte er und trat mit einem  gezielten Tritt nach der Kniescheibe des Angreifers. Dieser sank keuchend in die Knie. „Na also, geht doch. Ihr habt Euch Euren Angriff nicht wirklich gut überlegt, nicht wahr?“ Serafin schüttelte den Kopf, dann warf er sich den Mann über die Schultern, nachdem er sichergestellt hatte, dass dieser unter seinem Umhang nicht noch weitere Waffen verbarg.

 

Im Schloss liefen einige Leute zusammen, als er mit seinem Gefangenen ankam. Erstens gab es wohl ein lustiges Bild ab, wie er sich diesen wie einen Kartoffelsack über die Schultern geworfen hatte, zweitens sah seine Wunde ziemlich furchterregend aus. Der Trubel lichtete sich erst, als die Wache den Gefangenen abgeführt hatte und auch der Hofarzt bestätigte, dass er an dem Kratzer nicht sterben würde.

 

 

Der Feuer-Fluch

 

Während einer langen Zugfahrt kam mir die Idee, den Versuch zu starten, einen richtig düsteren Krimi zu schreiben. Stereotyp, ja aber dieses Projekt soll schliesslich auch dazu da sein, mich ausprobieren zu dürfen und wenn ein paar Menschen Lust haben, dabei noch ein bisschen mitzulesen, freut mich das natürlich umso mehr! Vielleicht werde ich mich in den nächsten Monaten noch an anderen Stilen probieren oder vielleicht gibt es etwas, was ich unbedingt ausprobieren sollte? Lass es mich gerne in den Kommentaren wissen! (Übrigens, für diesen Krimi habe ich meine allererste literarische Figur wieder ausgegraben, auch wenn auch sie sich in den gut acht Jahren ihrer Existenz natürlich auch verändert hat. Doch nun genug der einleitenden Worte, es wird Zeit in die Geschichte einzutauchen.)

 

Teil I

 

Armanda konnte sich nicht erinnern, dass es je so viel geregnet hätte, seit sie in dieser Stadt lebte. Es war nun schon der fünfte Tag, dass die Regentropfen sich ohne Unterbruch über die Scheiben ihres Büros jagten und Besserung war keine in Sicht. Immerhin war es friedlich, sie hatte kaum Arbeit und daher glücklicherweise auch keinen Grund, nach draussen zu gehen. Doch dass sollte sich rasch ändern. Sie war gerade über ihrer Tasse Kaffee eingenickt, als es energisch klopfte. „Herein?“ Rasch fuhr sie sich mit den Fingern durch die langen schwarzen Haare, während eine alte kleine Frau ihr Büro betrat. „Frau Müller?“, fragte diese und gab ihr keine Zeit zu antworten sondern redete augenblicklich weiter. „Sie müssen uns helfen! In unserem Haus geht ein Geist um!“ Es dauerte, bis Armanda die Frau dazu gebracht hatte, sich einigermassen zu beruhigen und auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Offenbar wurde ihr alter Landsitz seit mehreren Tagen von einem aggressiven Geist heimgesucht. Am gestrigen Abend hatte sich ihr Ehemann gar schwer verletzt, als ihm eine Stichflamme entgegenfuhr während er das, zu dieser Zeit nicht benutzte, Cheminee öffnete. Vor lauter Schreck war er danach die Kellertreppe hinuntergestürzt und hatte sich mehrere Knochenbrüche zugezogen. Es war nicht das erste Mal, dass man sie darum gebeten hatte, einen angeblichen Geist zu überführen, dennoch hatte sie dieses Mal ein sonderbares Gefühl während die Frau sie aus Schreckensstarren Augen anblickte. „Bitte, übernehmen Sie unseren Fall? Wir wissen nicht mehr weiter!“ „Keine Sorge, ich bin sicher wir werden eine Lösung finden.“ Sie strich der Frau beruhigend über den Arm, dann servierte sie ihr Tee und bat um ausführlichere Details. Nach einer guten Stunde verstummte Frau Kannes schliesslich und liess sich sichtlich erschöpft in den Sessel sinken. Auch Armanda lehnte sich zurück. „Können Sie in den nächsten Tagen bei Verwandten oder Bekannten unterkommen? Ich denke es wäre besser, wenn Sie etwas Abstand zu der ganzen Sache bekommen könnten.“ Frau Kannes nickte. „Gut. Ich sehe mir Ihr Haus morgen an, passt 8.00 Uhr?“ Nachdem die Klientin gegangen war, atmete Armand schnaubend aus. Das würde wohl wieder eines dieser perfiden Katz- und Mausspiele werden, während sie versuchen musste, den bestimmt sehr menschlichen Übeltäter und sein Motiv zu finden. Ihr war schon alles untergekommen, von extrem billigem Spuk bis zu wahnsinnig ausgefeilten Anlagen, doch bis jetzt hatte noch immer ein lebender Mensch dahinter gesteckt und sie war zuversichtlich, dass es auch dieses Mal so sein würde. Dennoch investierte sie am Abend einige Stunden in die Vorbereitung ihrer Ausrüstung und packte schliesslich auch das kleine Amulett ein, das ihre Grossmutter ihr einmal aus den Ferien mitgebracht hatte und angeblich gegen böse Geister half. Man weiss ja schliesslich nie. Als endlich alles bereit war, setzte sie sich mit Lilli, ihrer Katze, aufs Sofa, um sich die neueste Folge ihrer Lieblingsserie anzusehen.

 

 

Teil II

 

Der Wecker klingelte früh, der Landsitz befand sich ein ganzes Stück ausserhalb der Stadt und da Armanda kein Auto hatte, musste sie mit dem Zug gehen. Es war noch stockfinster, als sie sich ihren langen Regenmantel überstreifte, ihrer Katze über den Kopf strich und den vollbepackten Rucksack schulterte. Am Bahnhof holte sie sich Kaffee und ein Brötchen um während der Fahrt wenigstens Frühstücken zu können. Als sie eine knappe Stunde später ausstieg, war es noch immer nicht richtig hell geworden, was allerdings eher am Wetter als an der Uhrzeit lag. Die letzte Wegstrecke musste sie zu Fuss zurück legen und ihre Schuhe waren vollkommen durchnässt, als sie schliesslich das alte Bauernhaus erreichte. Der Stall daneben war offensichtlich schon seit vielen Jahren nicht mehr benutzt worden und auch das Haus selbst hätte eine Renovation mehr als nötig gehabt. Alles in allem gab die Umgebung ein düsteres Bild ab und Armanda schluckte einmal schwer, als ein alter, schmutziger Subaru auf den Hof fuhr. Frau Kannes stieg aus, in Begleitung einer deutlich jüngeren Frau, die sich als die Nichte ihrer Klientin vorstellte. Gemeinsam betraten sie das Gebäude. Im Inneren war es kalt und roch modrig, so als wären die Bewohner nicht erst gestern, sondern schon vor langer Zeit ausgezogen. Flackernd ging eine staubige Deckenlampe an und der Hausherrin schien der schlechte Zustand des Hauses plötzlich peinlich zu sein, sie begann zu erklären, wie wenig Zeit sie für den Haushalt gehabt hatte, wie sehr sie die Arbeit vereinnahmt hatte, wie müde  sie jeden Tag gewesen war und wie der Schmutz immer fast wie von Geisterhand innerhalb kürzester Zeit zurück kam. Währenddessen führte sie ihre Gäste in die Küche, die um einiges gepflegter wirkte, und servierte Kaffee. Danach zeigte sie Armanda das gesamte Gebäude, vom Dachboden bis zum Keller, während sie jeden Ort erwähnte, an welchem die Geistererscheinung schon bemerkt worden war. Immer in Kombination mit Feuer war der Eindringling in allen bewohnten Räumen, also Küche, Wohn-, Schlaf-, und Badezimmer aufgetaucht, dazu auch im Keller und draussen im Holzschopf, wo ein plötzlich ausgebrochenes Feuer beinahe aufs Haus übergegriffen hätte. Die fünf Zimmer des grossen Hauses, die nicht benutzt wurden, waren bisher jedoch verschont geblieben, zumindest liessen sich dort, im Gegensatz zum restlichen Haus, weder Rauch noch Brandflecken ausmachen. Als sie danach wieder in der Küche sassen und Frau Kannes die zweite Runde Kaffee servierte, war die Stimmung noch genauso gedrückt wie bei ihrer Ankunft. „Und, was glauben Sie? Können Sie helfen?“ Armanda seufzte, doch dann setzte sie ihr professionellstes Lächeln auf. „Machen Sie sich keine Sorgen Frau Kannes. Ich bin sicher, ich werde der Sache auf den Grund gehen können.“ Diese nickte nur und verabschiedete sich schliesslich wieder. Armanda blieb alleine zurück. In ihrem Gepäck fand sich alles, was sie brauchte, um ein paar Tage in dem Haus ausharren zu können und so richtete sie sich als erstes im Wohnzimmer eine Art „Basislager“ ein. Danach machte sie sich auf den Weg, um sich das Haus noch einmal in aller Ruhe und alleine anzusehen. Auf dem Dachboden tropfte das undichte Dach, in den übrigen Räumen waren die Brandflecken der einzige Hinweis, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zu und her ging. Es war vielleicht eine bescheuerte Idee, aber Armanda beschloss zu warten bis es dämmerte, schliesslich waren Geister ja mehrheitlich des Nachts unterwegs. Die Zeit bis dahin nutzte sie, um sich den Grundriss des Gebäudes genau einzuprägen und zum lesen. Als das düstere Tageslicht schliesslich der Nacht wich, machte Armanda sich, bewaffnet mit einer Kanne heissen Tee, wieder auf einen Streifzug durchs Haus. Als erstes ging sie ins Schlafzimmer des Ehepaars, weil dort ein riesiger schwarzer Brandfleck auf dem Boden zu sehen war. Sie kniete sich hin und strich über die Stelle, zuckte jedoch sogleich zurück. Das Holz war eiskalt. Armanda sprang auf und strich sich mit der Hand nervös über die Jeans. Sie hatte ein mulmiges Gefühl, dennoch zwang sie sich, tief durch zu atmen. Sie versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was für ein Raum unterhalb des Schlafzimmers lag, vielleicht war er ja unbenutzt und die Kälte kam von da? Nein, darunter lag die Küche wo sie noch kurz zuvor gewesen war. Und das unverbrannte Holz rund um die Stelle fühlte sich vollkommen normal an. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken und sie beschloss, das Schlafzimmer erst einmal sein zu lassen. Stattdessen besah sie sich das Cheminee genauer, schliesslich war die Explosion an dieser Stelle dafür verantwortlich, dass Herr Kannes jetzt im Krankenhaus lag. Sie nahm sich vor, sehr vorsichtig zu sein.

 

 

Teil III

 

Die erste Nacht war relativ ruhig verlaufen, dennoch verspürte Armanda einen regelrechten Widerwillen, als sie sich für die zweite einrichtete. Am Vormittag hatte sie sich wieder mit Frau Kannes getroffen und ihr von den nicht existierenden Fortschritten berichtet. Den Nachmittag hatte sie verwendet, um die Umgebung genauer zu untersuchen, ebenfalls ohne auch nur die kleinste Kleinigkeit entdeckt zu haben. Jetzt kochte sie sich eine Dose Ravioli und setzte sich dann mit diesen auf das Sofa. Draussen wurde es rasch dunkel, auch heute hatte es den ganzen Tag geregnet. Die Düsternis schlug ihr ebenso auf die Stimmung wie die Atmosphäre im Haus und sie nahm sich vor, diesen Fall so schnell wie nur irgendwie möglich hinter sich zu bringen. Nachdem sie aufgegessen hatte, stellte sie die schmutzige Schüssel in die Küche zurück und musste schmunzeln als sie daran dachte, wie sehr dies der ordnungsliebenden Hausbesitzerin gegen den Strich gehen würde. Doch das Lächeln hielt sich nicht lange auf ihrem Gesicht während sie ihre Taschenlampe und die restliche Ausrüstung vorbereitete. Dann wanderte sie einmal mehr weiter durchs Haus, ohne dass sich etwas ereignet hätte. Bis sie wieder unten beim Keller ankam und ihr plötzlich aus einem Rohr eine Stichflamme entgegen schlug. Mit einem Schrei warf sie sich auf den Boden, bis das Feuer über ihr allmählich wieder nachliess. Mit einem Stöhnen richtete sie sich wieder auf und besah sich die Leitung genauer. Es war offensichtlich eine Gasleitung und Armanda konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wie das Feuer überhaupt hatte ausgehen können. Vielleicht ein Notschalter? Als sie die verkohlten Stellen berührte, stellten sich wieder alle ihre Haare zu Berge, denn statt heiss war auch diese eiskalt. Schaudernd kehrte sie erst einmal zu ihrem Basislager zurück und trank eine heisse Tasse Kaffee und nachdem sie aufgehört hatte zu zittern, machte sie sich wieder auf den Weg. Doch von da an wurde es vollkommen unheimlich. In allen möglichen Räumen gingen Kerzen plötzlich an und wieder aus, einmal glaubte sie das Cheminee flackern zu hören, doch als sie nachsah, war da nichts ausser eisiger Kälte. Weitere Brandflecken tauchten an gewissen Stellen auf und andere verschwanden gar wieder. Armanda tat was sie konnte um sich einzureden, dass es sicher eine logische Erklärung gab und suchte überall nach Hinweisen,  doch die Nacht zog sich schier unendlich lang. Und als sich das graue Morgenlicht endlich langsam aus der Schwärze der Nacht herausschälte, konnte sie nicht gegen ihren Widerwillen ankämpfen und packte ihre Sachen zusammen.

 

 

Teil IV

 

Noch immer perlten unaufhörlich Wassertropfen von Armandas Mantel ab, während sie regungslos auf das schwarze Haus blickte. Die „Geisteraustreiber“ waren bereits vor einer halben Stunde an die Arbeit gegangen und seither hatte sich noch nichts getan. Hie und da ging ein Licht an und sie konnte sich nicht entscheiden, ob es ein Fehler gewesen war, so leicht aufzugeben. Ja, von ihrem Ausbildner hatte sie gelernt, lieber kein Risiko einzugehen und vor allem auf das eigene Bauchgefühl zu hören, und ja all ihre Instinkte hatten Alarm geschlagen, dennoch fühlte es sich wie eine schmähliche Niederlage an, das Feld solchen Gurus zu überlassen. Doch auch Frau Kannes hatte darauf bestanden, dass sie sich „Expertenrrat“ holten und es war nun einmal so, dass Armanda nichts, aber auch rein gar nichts zur Aufklärung dieses Falls hatte beitragen können, sosehr sie sich auch angestrengt hatte. Und die Brandwunde an ihrem Arm schmerzte immer noch höllisch, sie konnte gut darauf verzichten, sich weitere Verletzungen zu holen. Nun ging das Licht in der Küche an und Armanda beschloss, doch noch den Regenschirm aus ihrem Auto zu holen. Als sie zurück kam, lag das Haus in völliger Finsternis da, nicht einmal der tanzende Schein einer Taschenlampe war zu sehen. Waren sie auf der Rückseite des Hauses? Im Keller? Oder im Garten? War ihnen etwas passiert. Sie beschlich das unheimlich Gefühl, etwas würde sich ihr von hinten nähern, doch als sie sich hastig umdrehte war da nichts als Schwärze. Sie kehrte sich gerade noch rechtzeitig um, um den Feuerball zusehen, der plötzlich vom Haus aufstieg. Der Knall kam erst viel später, gefolgt von einer Hitzewelle die selbst bis zu ihr gut spürbar war. Armanda begann zu rennen, hielt aber beinahe augenblicklich wieder an. Es war unmöglich, dass jemand im Haus eine solche Explosion überlebt haben könnte. Der Feuerball hatte die gesamte Konstruktion regelrecht auseinandergerissen, von den Resten der Grundmauern abgesehen war nichts mehr übrig. Dachsparren, Ziegel, Glasscherben lagen über das Grundstück verteilt und aus dem Herzen des Hauses schlugen noch immer Flammen hoch. Für einen kurzen Moment hatte Armanda das Gefühl, in dem tanzenden Feuer ein Gesicht zu erkennen, mit zusammengezogenen Augenbrauen und gefletschten Zähnen, doch im nächsten Augenblick war es wieder weg und sie schüttelte erschrocken den Kopf. Jetzt endlich gelang es ihr, das Handy aus der Manteltasche zu fummeln und die Notfallnummer zu wählen.

 

Ein paar Tage später berichteten die Medien, ein Gas- oder  Stromunfall könne ausgeschlossen werden, man gehe davon aus, dass die ums Leben gekommenen Geisterjäger die Explosion selbst durch den Einsatz von Chemikalien oder Feuer ausgelöst hätten. Spuren konnten jedoch keine mehr sichergestellt werden. Armanda faltete die Zeitung und seufzte schwer. Sie hätte gerne eine glaubhaftere Brandursache gehabt, damit diese elenden Zweifel endlich einmal ruhig wären.

 

 

Wunschmünzen

Teil I

Es war ein heisser, staubiger Tag in der Hauptstadt Italiens und Stefano schwitzte unter seiner gestrickten Weste. Eine Weile hatte er in einem schattigen Torbogen gesessen und den vorübergehenden Menschen mit traurigem Blick ein paar Münzen abgebettelt, die nun in seiner Tasche klirrten, nun machte er sich auf den Weg zu seinem Freund Leo. Wenn das Wetter ganz unwirtlich war oder er über Tage nichts zu essen bekam, half dieser ihm manchmal aus oder offerierte ihm die Reste aus seiner Kneipe für ein paar Münzen.  Es lebte sich recht gut auf den Strassen, solange man ein paar Tricks kannte und die ungeschriebenen Regeln beachtete. Gelegentlich eine Dusche und Waschmaschine benutzen zu dürfen und einen Notfallplan zu haben, machte es ihm zudem leicht, gut über die Runden zu kommen. Es war natürlich niemals sein Plan gewesen, einmal Obdachloser zu werden, doch im Augenblick war er damit überraschend zufrieden. Es waren Sommerferien, er würde also auch morgen seine Münzen zusammen zu bekommen, die Touristen warfen ihm zwar verächtliche Blicke zu, doch meist fanden sich einige, die ihm dennoch ein paar Cent in den schmutzigen Pappbecker warfen. Diese beehrte er stets mit einem Lächeln und dass er dabei zwei Reihen perfekter Zähne entblösste, sorgte immer wieder für verwirrte Blicke. Er entsprach eben nicht dem, was sich die meisten unter einem Bettler vorstellten. Manchmal, vor allem in der Nebensaison nahm er auch kleine Jobs an oder tanzte mit einigen Kollegen zusammen, doch jetzt wo das Geld auf einfacheren Wegen zu bekommen war, liess er sich treiben. Daher beschloss er, die Zeit bis zum Abend mit einem ausgedehnten Spaziergang zu nutzen, bevor er seinen Freund besuchte und sich an den Resten der primi und secondi piatti gütlich tun durfte. Abseits der Touristenströme gab es ein paar hübsche Gassen in welche die Sonne nicht mehr allzu sehr brannte und in denen ein paar Brunnen plätscherten, wo er sich den Schweiss des Tages abwaschen konnte. Es waren nur wenige Leute unterwegs und schliesslich liess Stefano sich auf den Stufen eines relativ grossen Brunnen nieder und lehnte sich an den kühlen Stein. Als er wieder erwachte, lag die Sonne schon fast hinter den Häuser und er war alleine in der Strasse, das Wasser plätscherte leise hinter ihm. Seufzend streckte er seine Glieder und zog sich am Brunnenrand hoch. Obwohl es schon dämmrig war, funkelten ein paar Münzen auf dem Grund des blau gestrichenen Brunnens. Während er sein Gesicht wusch, blickte er die Metallstückchen an und spielte einmal mehr mit dem Gedanken, sie einfach heraus zu nehmen. Warum auch nicht? Er wusste nicht? Ihre Besitzer würden sie kaum vermissen, hatten sie sie doch selbst hineingeworfen. Doch bis jetzt hatte ihn stets etwas zurück gehalten. Doch nicht heute. Dieses Mal nahm er tatsächlich eine Handvoll Münzen heraus. Die meisten waren Euros, aber es hatte auch noch andere Währungen darunter, Pfund, Kronen und sogar ein paar, die er nicht kannte. Eine Weile hielt er das kalte Metall in seinen Händen, bis ihn eine leise Stimme plötzlich erschreckte. „Seltsam nicht wahr?“ „Hmm?“ Ein paar der Münzen fielen platschend zurück ins Wasser, als er zusammenzuckte. Ihm gegenüber lehnte ein junger Mann in seltsam altmodischer Kleidung am Brunnen. „Das Geld liegt einfach so herum, quasi auf dem Servierteller, doch kaum jemals traut sich jemand, es auch tatsächlich mitzunehmen.“ Allmählich hatte Stefano sich von seinem Schrecken erholt, immerhin begegneten ihm in seinem Alltag die seltsamsten Gestalte die eine Grossstadt so zu bieten hatte. „Und du bist?“ „Marcel.“ Der junge Mann zog einen seiner weissen Handschuhe aus und reichte ihm die Hand. „Freut mich. Stefano“ „Ich weiss.“ Marcel lächelte. Seine Kleidung hätte direkt aus einem alten Film sein können, schwarze Reitstiefel, darüber helle Kniehosen, Rock, Weste, Frack, das ganze Programm. Selbst der Zylinder auf seinem Kopf passte perfekt ins Bild. Stefano hatte bereits den Mund offen um weitere Fragen zu stellen, doch der junge Mann kam ihm zuvor. „Es gibt unterschiedliche Traditionen, wie eine Münze in einen Brunnen geworfen werden soll, mit geschlossenen Augen, über die Schulter, aber alle glauben daran, dass ihre Wünsche erfüllt werden.“. Nun griff er selbst ins Wasser, spielte mit einigen Münzen und zog seine Hand dann wieder heraus. Stefano kam dieser Mann seltsam vor und er überlegte fieberhaft, wie er das Gespräch beenden konnte, doch sein Gegenüber fuhr fort: „Aber nur die wenigsten wissen, dass Wünsche  erst in Erfüllung gehen, wenn man die Münzen wieder mit guten Absichten heraus nimmt.“ 

 

 

Teil II

 

Marcel lächelte wieder und kam nun um den Brunnen herum, bis er sich ein Pfundstück aus Stefanos Hand nehmen konnte. „So viele Träume, Geschichten und Wünsche, die du einfach so in deiner Hand halten kannst.“ Er blickte eine Weile verträumt in die Ferne, dann fuhr er fort: „Diese hier zum Beispiel…“ Beinahe hätte Stefano aufgeschrien, als der junge Mann ihn am Ärmel fasste und sie plötzlich an einer Hausmauer gegenüber des Brunnens standen. Auch das Licht hatte sich verändert, es war kühler geworden und schwere Wolken hingen über der Stadt. „Was zum?“ schimpfte er und versuchte zu begreifen, was sich hier gerade vor seinen Augen abspielte. „Schhh, schau!“ Marcel unternahm gar nicht erst den Versuch, sich irgendwie zu erklären und deutete stattdessen zum Brunnen. Im leichten Nieselregen stand ein einzelner Mann unter einem Regenschirm mit dem Logo eines der bekannten Hotels der Stadt und spielte mit einem Pfundstück.  Er war vermutlich irgendwo zwischen 40 und 50 und trug einen Anzug inklusive Krawatte und schicken schwarzen Schuhen. Unter seinen Arm geklemmt hatte er eine prallvolle, abgewetzte Aktentasche, die Regentropfen prallten vom den speckigen Leder ab. Er murmelte leise auf Englisch, dennoch konnte Stefano mühelos verstehen, was er sagte: „Ach Marianne. Ich wünschte ich könnte besser zeichnen. Dann könnte ich mit dir in diesen Kurs und vielleicht würdest du mir dann wieder ein bisschen deiner Aufmerksamkeit schenken.“ Er seufzte tief und warf die Münze ins Wasser, wo sie mit einem leichten Platsch versank. Eine Weile blickte er hinterher, dann drehte er sich um und ging mit langen Schritten davon. Seine Augen funkelten freundlich und wach,  sein Gesicht wirkte noch recht jugendlich, doch in seinen Bart mischten sich bereits graue Strähnen. Als er verschwunden war, kehrte die Sonne plötzlich wieder auf den Platz zurück und Stefano schüttelte ratlos den Kopf. „Seltsam, nicht wahr?“ Marcel gab ihm das Pfundstück zurück und ging wieder zum Brunnen, wo er sich auf den Rand setzte. „Peter ist Immobilienmakler aus Bristol, seit fünfzehn Jahren verheiratet und hat zwei Kinder, Morris und Cindy, beide mittlerweile im Teenager Alter und am College. Die Ehe der beiden hat unter der Abwesenheit der Kinder gelitten und um sie zu retten, möchte seine Frau einen Zeichenkurs machen, was er aber aufgrund seines mässigen Talents ablehnt, aus Angst sich zu blamieren. Auf der Geschäftsreise versucht er sich nun genug Mut zuzusprechen um es doch zu versuchen.“ Marcel verschränkte die Arme, während Stefano noch immer den Kopf schüttelte. „ Was bitte war das? Wer seid Ihr? Und was mache ich jetzt?“ „Das ist deine Entscheidung. Wenn du die Münze mitnimmst wird der Wunsch in Erfüllung gehen. Doch bedenke, es ist nicht immer das Beste für die Betroffenen, ihre Wünsche zu erhören. Manche Münze lag schon so lange darin, dass sie mittlerweile nicht mehr aktuell sind, andere Wüsche haben sich erledigt, weil die Menschen einen andere Weg gefunden haben, manch einer hat vielleicht auch unüberlegt einen Wunsch gesprochen. Deine Entscheidung.“ Über dem Dach hinter Marcel brachen sich die letzten Sonnenstrahlen des Tages und der junge Mann nahm seinen Zylinder ab um sein Gesicht zu sonnen. Stefano hatte noch immer die kalten, nassen Münzen in der Hand und überhaupt keine Ahnung, was hier gerade passiert war oder was er jetzt tun wollte. Ratlos platzierte er die Pfundmünze auf dem Brunnenrand und nahm einen Euro in die Hand. Sofort hatte er wieder Marcels komplette Aufmerksamkeit. „Lust auf eine weitere Geschichte? Es ist faszinierend, fast wie eine Sucht, nicht wahr?“ Ehe er sich versah, hatte Marcel seinen Hut wieder auf und ihn erneut am Ärmel gefasst.

 

 

Teil III

Dieses Mal war die Veränderung auf dem Platz subtiler. Wäsche baumelte vor einem Fenster und ein paar Frühlingsblumen blühten in den Ritzen des Brunnenfundaments, die die jetzige Sommerhitze längst verbrannt hatte. Vor einer kunstvoll verzierten Fassade stand eine Schulklasse und während der Lehrer irgendetwas über die Goldstuckaturen erzählte, hatte eines der Mädchen am Rande der Gruppe nur Augen für einen hübschen Jungen in der zweiten Reihe. Als sich der Rest zum Gehen wandte, warf sie unauffällig einen Euro in den Brunnen und hastete dann hinter den anderen her um den Anschluss an ihre schnatternden Freundinnen nicht zu verlieren. Und im nächsten Moment war es wieder Hochsommer, die Luft schwer und stickig, obwohl die Sonne mittlerweile untergegangen war. „Du ahnst sicher, was Leandra sich gewünscht hat, nicht wahr?“ Marcel spielte mit ihrer Münze. „Genau, sie wollte endlich von ihrem Schwarm bemerkt werden.“ Er machte eine kurze, dramaturgische Pause. „Wer weiss, ob sie heute nicht auch so mit ihm zusammen ist? Oder mittlerweile jemanden anderen liebt? Vielleicht sogar schon verheiratet ist? Eben war sie übrigens noch 17 und gehörte zu einer Schulklasse aus Belgien.“ Er legte den Euro in Stefanos Hand zurück und nahm sich stattdessen eine abgegriffene Münze, einer Währung die er nicht kannte. „Hmm, eine deutsche Mark, dass sieht man nur noch sehr selten. Gut, dass du dir so einen kleinen Brunnen ausgewählt hast. Neugierig?“ Stefano machte sich nicht die Mühe zu einer Antwort oder zu Protest anzusetzen, da Marcel ihn bereits wieder am Ärmel gefasst hatte. Innerhalb eines Sekundenbruchteils wurde es dunkel, nur zwei Strassenlampen erhellten den Platz dürftig, während ein paar einsame Schneeflocken durch die eiskalte Luft wirbelten. Ein junges Ehepaar schlenderte Arm in Arm über den Platz und sprach leise über das Abendessen, ihnen folgte ein schlaksiger Junge, ungefähr 14, schätzte Stefano. Er langweilte sich sichtlich und spielte mit der Münze in seinen Händen. Seine Kleidung war etwas altmodisch, Stefano konnte sich aber selbst noch gut daran erinnern, als dieser Stil gross in Mode war. Auf seinen blonden Haaren sass eine übergrosse Mütze, die ihm dauernd über die Augen rutschte, als er einen Moment am Brunnen halt machte und die Münze schliesslich schulterzuckend hinein warf. Auch seine Eltern waren nun unter einem der Torbogen die vom Platz weg führten stehen geblieben und riefen nach ihm. „Marius, nun komm doch!“ Die drei verschwanden im Dunkeln des Durchgangs und im nächsten Moment war die Winterkälte verschwunden, stattdessen empfing sie wieder eine feuchte Schwüle, die Stefano fasst von den Füssen riss. „Lass mich sehen, was haben wir denn noch?“ Und ehe er sich gewahr wurde was hier passierte, hatte Marcel sich bereits das nächste Eurostück geschnappt und die Sommerhitze war wieder verschwunden. Doch dieses Mal wurde es nicht ganz so kalt, statt Schnee empfing sie nun die angenehme Kühle des frühen Morgens. Eine junge Frau, irgendwo um die 20, ging über den Platz. Sie trug einen luftigen hellblauen Rock und darüber eine weisse Bluse, an ihrer Seite baumelte eine Tasche die offensichtlich ziemlich schwer war. In ihren Händen hielt sie ein zerlesenes Buch, in welchem sie sogar beim Gehen blätterte. Vor dem Brunnen machte sie kurz halt, kramte in ihrer Tasche und warf eine Euro hinein, dann ging sie weiter, die Augen hatte sie nur für einen winzigen Moment von den Seiten gelöst. Da sie kaum darauf achtete, wohin sie ging, vermutete Stefano dass sie in der Umgebung wohnte, doch ehe er weitere Beobachtungen anstellen konnte, hatte Marcel ihn wieder in die Realität zurück geholt. „So viele Geschichten, so viele Schicksale. Marius von vorhin hat sich nur ein Skateboard gewünscht, um endlich mit seinen Freunden die Strassen und Plätze seiner Heimat unsicher machen zu können. Heute, mindestens fünfzehn Jahre später, wird er es wohl kaum noch brauchen.“ Beiläufig setzte der junge Mann sich auf den Brunnenrand und knackte die Finger in den weissen Handschuhen. „Und Olivia von eben träumt davon, ihre eigenen Bücher irgendwann veröffentlichen zu können. Du wirst so manche Münze von ihr finden wenn du dir die Zeit nimmst zu suchen. Sie wohnte damals übrigens nur wenige Blocks entfernt, vielleicht kannst du sie sogar heute noch besuchen.“ Wieder lächelte er und stand dann auf. „Hat es dir die Sprache verschlagen oder bist du immer so still?“ Stefano versuchte etwas heraus zu bringen, scheiterte aber kläglich. „Schade, dass die Menschen immer so sprachlos sind, ich würde mich so gerne einmal richtig unterhalten.“ Er klopfte sich etwas unsichtbaren Staub von seinem Frack. „Wie auch immer, hat mich sehr gefreut dich zu treffen Stefano. Denk an meine Worte, wenn du das nächste Mal Münzen aus einem Brunnen nimmst.“ Immer noch lächelnd reichte er ihm die Hand und war im nächsten Augenblick ebenso spurlos verschwunden wie die Szenen, die er eben noch heraufbeschworen hatte.

 

Teil IV


Stefano blieb reglos am Brunnen stehen. Was bitte war das eben gewesen? Kopfschüttelnd blickte er auf das Häufchen Metall in seiner Hand und liess die Münzen schliesslich wieder zurück in den Brunnen fallen. Diejenigen von Peter, Leandra, Marius und Olivia wog er noch etwas länger in seiner Faust, dann liess er auch diese ins kalte Wasser platschen. Es war wohl besser, nicht von Aussen in das Leben dieser vollkomme fremden Menschen einzugreifen.  Es war eine berauschende Vorstellung Wünsche wahr werden lassen zu können, doch ihm war bewusst, dass er den Betroffenen damit längst nicht immer einen Gefallen tun würde. Allmählich wurde es dunkel auf dem Platz, doch Stefano fühlte sich noch nicht bereit seinen Freund Leo zu besuchen, also blieb er einfach am Brunnen stehen. Er hätte ihm die Geschichte ohnehin nicht geglaubt. Gegenüber gingen in dem kleinen Hotel die Lichter an und auch die Strassenlampen flackerten und verströmten ihr warmes Licht. Ein paar Menschen, ihrem Dialekt nach Einheimische, gingen vorüber, plauderten über ihren Tag und die Geschehnisse in der Stadt. Noch immer stieg Hitze vom Pflaster auf, die halb verdorrten Lavendelbüsche in den Töpfen neben dem Brunnen verströmten noch immer ihren süsslichen Duft . Schliesslich, als es ganz dunkel geworden war und selbst durch den Lichtsmog ein paar vereinzelte Sterne zu sehen waren, wusch er sich das Gesicht. Während er einen leichten Pullover aus seinem Rucksack nahm, trat ein älterer Mann aus der Tür des Hotels. Ohne genau zu wissen wieso, blieb Stefano stehen und sah zu, wie dieser näher kam und sich nervös mit der einen Hand über den Arm strich. Er trug ein kurzärmliges Hemd mit Schweissflecken, eine helle Hose und sein freundliches Gesicht wurde von einer runden Brille dominiert. Am Brunnen angelangt nickte er Stefano kurz zu, dann holte er eine Münze aus seiner Hosentasche und drehte sie einen Augenblick in den von Altersflecken übersäten Händen. Er sprach ein paar Worte und obwohl sein Dänischkurs schon ein paar Jahre her war, konnte Stefano einigermassen verstehen, was der Alte leise vor sich hin murmelte. Sein Wunsch war denkbar bescheiden. Er bat einfach nur darum, wieder sicher nach Hause fliegen zu dürfen, da seine Frau ihn trotz seiner Flugangst zu einer Italienreise überredet hatte. Nachdem die dänische Krone mit einem leisen Platsch im Brunnen versunken war, warf der Mann ihm noch einen raschen Blick aus seinen grauen Augen zu, bevor er sich umdrehte und zum Hotel zurück ging. Er drehte sich nicht mehr um und als Stefano sicher war, dass die Hoteltür sich hinter ihm geschlossen hatte, griff er noch einmal ins Wasser und holte die Krone wieder heraus. Zumindest diesen einen Wunsch würde er in Erfüllung gehen lassen.